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«Wir sind am Limit!» – Fachkräftemangel macht Pflegern zu schaffen

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In den Pflegeberufen fehlt Personal. Die Folge sind Beschäftigte, die
mitunter über die eigene Belastungsgrenze hinaus arbeiten. Das wurde
auch auf der Bildungsmesse Didacta deutlich. Für Schüler kann eine
Ausbildung trotzdem attraktiv sein.

Stuttgart (dpa/tmn) – Ein alter Mensch liegt im Altenheim im Sterben,
er hat Angst. Doch der Pfleger, der ihn seit langem kennt, hat keine
Zeit für ihn. Statt ihm die Hand zu halten, hat er noch viele andere
Fälle auf der Station, die er versorgen muss. Was nach einer
traurigen Vorstellung klingt, ist laut Vertretern aus dem
Pflegebereich Alltag in vielen Pflegeheimen. Bei einer
Podiumsdiskussion auf der Bildungsmesse Didacta (noch bis zum 18.
Februar) stand das Thema im Mittelpunkt.

Gibt es einen Fachkräftemangel in der Pflege?

Den Experten auf dem Podium zufolge ja. Der Fachkräftemangel in der
Pflege sei auch kein neues Phänomen, sagte Prof. Gertrud Hundenborn
vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung. «Aber er zeigt
sich angesichts des demografischen Wandels in einer ganz anderen
Schärfe.» Weil die Deutschen immer älter werden und damit der Bedarf
an Pflegekräften tendenziell steigt, nehmen die Probleme zu.

Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit bestätigen das. So heißt es
in deren Fachkräfteengpassanalyse vom Dezember 2016 etwa für die
Altenpflege: «Der Fachkräftemangel in der Altenpflege […] zeigt
sich ausnahmslos in allen Bundesländern. In keinem Bundesland stehen
rechnerisch ausreichend arbeitslose Bewerber zur Verfügung, um damit
die der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Stellen zu besetzen.»

Auch Friedhelm Fiedler vom Arbeitgeberverband Pflege sieht einen
Fachkräftemangel. Auf Anfrage des dpa-Themendienstes bestätigte er,
dass in der Altenpflege derzeit 30 000 Fachkräfte fehlen. Das habe
aber nichts damit zu tun, dass niemand in die Pflege wolle. Die
Auszubildendenzahlen in der Altenpflege stiegen seit ein paar Jahren
an.

Die Lage wird sich in Zukunft voraussichtlich noch verschärfen. Das
Bundesinstitut für Berufsbildung geht davon aus, dass bis 2035 etwa
270 000 Beschäftigte in der Pflege fehlen.

Welche Folgen hat das für die Beschäftigten?

Für das Pflegepersonal hat das im Arbeitsalltag nach Angaben der
Podiumsteilnehmer auf der Didacta derzeit schon jetzt die Folge, dass
sie stark überlastet sind. Sie hätten seit geraumer Zeit Probleme,
die Schichten mit Fachkräften zu besetzen, gibt Andrea Kiefer vom
Deutschen Bundesverband für Pflegeberufe ein Beispiel. Zum Teil
müssten Kollegen aus dem Urlaub zurückgeholt werden, um Engpässe zu
überbrücken. «Wir sind am Limit», sagte sie.

Evelyn Siebert-Aakolk, die auch in der Ausbildung von Pflegeschülern
tätig ist, gab ein anderes Beispiel: Wenn sie den Pflegeschülern
erkläre, wie sie zum Beispiel wichtige Hygienevorschriften umsetzen
sollten, sagten diese nicht selten: Das klingt gut, doch dafür habe
ich im Arbeitsalltag keine Zeit.

Was bedeutet das für angehende Pflegeschüler?

Die gute Nachricht für Jugendliche ist, dass sie im Pflegebereich
gesucht sind. «Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz sind in der
Alten- und Krankenpflege gut», sagte Kiefer. Etwas anders sehe es in
der Kinderkrankenpflege aus. Dort gebe es vielerorts nach wie vor
mehr Bewerber als Ausbildungsplätze.

Die schlechte Nachricht ist, dass es nach Aussage von Michael Zeiser
von der Mettnau-Schule Radolfzell mitunter aufgrund des
Personalmangels zu Defiziten in der Ausbildung kommen kann. In
einigen Fällen würden Auszubildende wie Arbeitskräfte eingesetzt –
und es habe niemand Zeit, ihnen etwas zu zeigen. Ist das bei
Jugendlichen der Fall, sollten sie ihre Pflegedienstleitung
ansprechen oder ihre Lehrkraft in der Schule.

Friedhelm Fiedler vom Arbeitgeberverband Pflege macht deutlich:
«Auszubildende sind Auszubildende und keine Ersatzarbeitskräfte.» Es
liege auch im Interesse der Pflegeunternehmen, dass die Jugendlichen
gut ausgebildet werden.

Was ist mit der Reform der Pflegeberufe?

Bisher gibt es in der Pflege die drei Ausbildungsberufe
Kinderkrankenpflege, Krankenpflege und Altenpflege. Die Reform sieht
vor, dass die drei Ausbildungswege vereinheitlicht werden – künftig
soll es eine gemeinsame Pflegeausbildung geben. Das hätte zum
Beispiel den Vorteil, dass man zwischen den verschiedenen
Pflegeberufen leichter wechseln könnte. Das Kabinett hat vor einem
Jahr ein Gesetz dazu beschlossen. Eine Verabschiedung im Parlament
war dann aber nicht zustande gekommen. Derzeit gibt es weitere
Beratungen.

Ist der Beruf für Jugendliche überhaupt attraktiv?

Trotz aller Probleme waren sich alle Podiumsteilnehmer einig, dass
die Pflege ein sehr schöner Beruf ist. Man arbeite sehr nah am
Menschen, erzählte die Altenpflegerin Dorothee Heimerl. Wenn ein
Patient einziehe und man eine Ebene aufbaue, dann bekomme man ein
unheimliches Vertrauen. «Es ist toll, jemanden begleiten zu dürfen.»

Was sollten junge Menschen mitbringen, die in die Pflege wollen?

Gefragt sei vor allem eine hohe soziale Kompetenz, erklärte Kiefer.
Hinzu käme ein Interesse an medizinischen Grundlagen, sowie Ausdauer,
Geduld und Belastbarkeit.

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