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Twitter-Oma Renate Bergmann zwitschert über Gott und die Welt Von Daniel Rademacher

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Renate Bergmann kommt auf mehr Follower bei Twitter als viele
Prominente. Sie geht gern auf Beerdigungen und nimmt das Leben, wie
es kommt. Die fiktive Oma begeistert das Netz und zeigt, wo’s
langgeht.

Berlin (dpa) – Sie ist 82, viermal verwitwet und nimmt kein Blatt vor
den Mund. Renate Bergmann, geborene Strelemann, ist ein Phänomen. Und
das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Seniorin aus Berlin-Spandau mit
Vorliebe für Korn, Klosterfrau Melissengeist und fremde Beerdigungen
behält über Twitter die großen und kleinen Dramen des Lebens
genauestens im Blick. Knapp 35 000 Follower hat sie inzwischen. Dass
die Helene-Fischer-Anhängerin nur in der Online-Welt existiert, macht
da eigentlich nichts aus.

Ein Tweet am Morgen ist ein Muss und klingt dann so: «Montags sind
immer so wenig Traueranzeigen in der Zeitung, da ist man ruck zuck
durch mit dem Lesen. Guten Morgen wünscht Renate Bergmann.» Damit
wären wir auch bei einem der wichtigsten Themen aus ihrem Alltag.
Denn Begräbnisse sind für die Rentnerin kein Anlass zu übermäßiger
Trauer, sondern vor allem harte Arbeit: «Ich war den ganzen Tag auf
Beerdigungen, liebe Güte, wissen Se das schlaucht! Ich bin fix und
fertig, aber der Aufschnitt reicht bis Advent.»

Die erste Twitter-Nachricht setzte sie im Januar 2013 ab, seitdem
ging es mit der Follower-Zahl stetig nach oben. Ersonnen hat die
Figur Torsten Rohde – aus einer Bierlaune heraus an Weihnachten. «Ich
hab einfach angefangen zu twittern, die Leute fanden das lustig»,
erzählt der 42-Jährige, der die User zunächst einige Zeit im Unklaren
darüber ließ, dass hinter dem Account @RenateBergmann in Wirklichkeit
ein Controller aus Genthin in Sachsen-Anhalt steckte. Unterstützung
bekam er dabei auch von Moderatorin Sarah Kuttner, die das Spielchen
immer wieder mitmachte und etwa ihre Omi Renate Bergmann bei Twitter
willkommen hieß. «Folgt ihr gern, macht dabei aber bitte nicht wieder
so einen Lärm.»

Mit Erscheinen des ersten Buchs («Ich bin nicht süß, ich hab bloß
Zucker») wurde das Rätsel dann endgültig gelüftet. Der Begeisterung
für die Twitter-Oma tat das aber keinen Abbruch. «Ich konnte mir
anfangs nicht vorstellen, dass jemand das für real hält», sagt Rohde.
Inzwischen gibt es sechs Bände, weitere sind in Planung. Außerdem
tourt er gemeinsam mit Schauspielerin Anke Siefken durch die Republik
und lässt Renate Bergmann ihre Weisheiten unters Volk bringen – nicht
über Twitter, sondern höchstpersönlich von der Bühne aus.

So auch Mitte November im Berliner Kabarett-Theater Distel. Da steht
sie nun und hat sich fein gemacht. Blaues Kostüm, pastellfarbener
Filzhut, Brille. Korn, Kölnisch Wasser und Smartphone in Reichweite.
Torsten Rohde beobachtet das Geschehen vom Publikum aus und sorgt auf
Twitter für Nachschub aus dem Renate-Bergmann-Universum. Diesmal geht
es um Doberschnauzer Norbert und dessen Schlafprobleme. Multitasking
scheint für Renate Bergmann wirklich kein Fremdwort zu sein.

Follower, darunter Politikerinnen wie Bundestagsvizepräsidentin Petra
Pau von der Linkspartei (8000 Follower), Ex-Ministerin Renate Künast
(26 000) von den Grünen oder eben Moderatorin Kuttner (165 000),
haben im Laufe der Zeit viel von der 82-Jährigen erfahren. Dazu
gehört auch das illustre Umfeld: die esoterisch angehauchte Tochter
Kirsten («Das Mädel hat nicht alle Platten an am Herd»), das
befreundete Paar Kurt und Ilse oder die stets kritisch beäugte,
männerverschleißende Nachbarin («Bei der Berber ist schon alles
duster, und dabei ist nicht mal ein Kerl da. Die brütet bestimmt eine
Erkältung aus»).

Worüber zwitschert Renate Bergmann nicht? Politik. Eigentlich. «Ich
halte sie eigentlich komplett unpolitisch», erzählt Rohde, bei dem
nach seinen Worten keine Oma oder Tante Renate als Vorbild gedient
hat. Doch es gibt Ausnahmen. So ließ es sich das Alter Ego nicht
nehmen, jüngst den Ausgang der US-Wahl zu kommentieren – auf die
Bergmannsche Art: Donald Trump sei doch schon 70 und «darf zur Rente
gar nichts dazuverdienen! So können se ihn drankriegen!» Bei den
Anschlägen von Paris im vergangenen Jahr verstummte Renate Bergmann
dann für ein paar Tage komplett. Und einmal habe Rohde auch User
wegen rechter Kommentare reihenweise blocken müssen.

Was sagt er zum Erfolg der Twitter-Omi? «Ich kann’s mir auch nicht
erklären. Vielleicht liegt’s daran, dass viele so eine Oma zu Hause
haben oder aber so eine Oma in Gedanken mit sich herumtragen, die
nicht mehr da ist. Eine Oma, die ein bisschen schrullig ist, gewitzt
und auch ein bisschen nervt.» Auch aus dem Publikum in der Distel
sind nach dem Leseabend ähnliche Einschätzungen zu hören.

Lektorin Diana Stübs vom betreuenden Rowohlt Verlag sagt: «Sie mag
mal übers Ziel hinausschießen oder meckern, aber eigentlich will sie
für uns alle nur das Beste.» Auch die nächste Zeit dürfte stressig
werden, wie auf Twitter zu lesen ist: Zu 19 Weihnachtsfeiern sei
Bergmann eingeladen. «Sie wissen ja: Rentner haben niemals Zeit! Und
Gott sei Dank hat mein Rock Dehnbund.»

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