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Test-Dämpfer bei TIMSS – schlechtes Omen für PISA-Bildungsstudie? Von Werner Herpell, dpa

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Die «Testeritis» im Bildungssystem kulminiert in einem Feuerwerk von
Zahlen, Trends und Empfehlungen: Wie muss Schule funktionieren, um
möglichst alle mitzunehmen? Mäßige Mathe-Ergebnisse der Viertklässler
zeigen, dass in Deutschland noch viel zu tun ist.

Berlin (dpa) – Nach einem Aufwärtstrend seit dem «PISA-Schock» vor 15
Jahren ist das ein Dämpfer: Die Grundschüler der vierten Klasse
rutschen im Ranking der breit angelegten TIMSS-Studie in Mathematik
ab, in den Naturwissenschaften kommen sie auch nicht so recht voran.
Und alle Baustellen der deutschen Bildungspolitik bleiben: zu viele
«Risikoschüler», zu wenige Überflieger, erhebliche Probleme für
Migrantenkinder, ein besorgniserregender Zusammenhang von sozialer
Herkunft und Bildungserfolg. «TIMSS 2015» als schlechtes Omen für die
PISA-Noten? Vor deren Präsentation darf gezittert werden.

TIMSS («Trends in International Mathematics and Science Study») ist
international angelegt und gilt – wie die bekanntere PISA-Studie der
OECD – als sehr aussagekräftig. Gut 300 000 Grundschüler aus über 50
Staaten und Regionen ließen sich für «TIMSS 2015» testen, zudem gaben
250 000 Eltern, 20 000 Lehrer und 10 000 Schulleiter Auskünfte. In
Deutschland nahmen rund 4000 Viertklässler an 200 Schulen teil.

Die wichtigsten Ergebnisse der Vergleichsstudie im Überblick:

DEUTSCHE MATHE-MUFFEL: Mit diesem wichtigen Unterrichtsfach tun sich
die Grundschüler schwer. Während osteuropäische Länder wie Ungarn,
Tschechien oder Slowenien – ganz abgesehen von Russland als großer
Schachspieler-Nation – teils riesige Fortschritte machten, rutschte
Deutschland nun unter das Test-Level der EU und der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Fast jeder
vierte deutsche Viertklässler schaffte nicht einmal die dritte von
fünf Kompetenzstufen. «Diese Kinder beherrschen gerade mal die
Grundrechenarten», sagte der deutsche TIMSS-Chef Professor Wilfried
Bos am Dienstag. Nur gut jeder Zwanzigste erreichte Top-Niveau.

NOTE DREI IN PHYSIK UND CHEMIE: In den Naturwissenschaften verharrten
die TIMSS-Leistungen der deutschen Viertklässler auf dem Niveau der
Vorgängerstudien – eine Stagnation im gehobenen Mittelmaß, haarscharf
über den Werten von EU und OECD. Aber auch hier zogen Länder wie
Slowenien oder Schweden innerhalb von acht Jahren vorbei. Zwar stieg
die Quote der Spitzenschüler leicht an, sie war aber gegenüber
Ländern wie Schweden oder Russland sehr niedrig. Und zieht man «TIMSS
2007» zum Vergleich heran, ging es bei der Topschüler-Quote in
Naturwissenschaften insgesamt sogar bergab.

SOZIALE SCHERE: Die seit «PISA 2000» beklagte enge Verbindung von
sozialem Hintergrund und Bildungschancen bleibt leider bestehen. Die
TIMSS-Experten hatten zur Erforschung nicht nur nach dem Berufs- oder
Ausbildungsstand der Eltern gefragt, sondern auch nach der Anzahl von
Büchern pro Haushalt. Das Ergebnis: ernüchternd. Schüler mit mehr als
100 Büchern daheim haben gut ein Lernjahr Leistungsvorsprung. In den
meisten EU-Ländern sind die Nachteile von Schülern aus bildungsfernen
Elternhäusern geringer. Das Fazit ist kein Ruhmesblatt: «In
Deutschland hat sich das Ausmaß sozial bedingter
Leistungsdisparitäten seit TIMSS 2007 nicht signifikant verändert.»

MALUS FÜR MIGRANTENKINDER: Dieser Befund tut weh: Obwohl sich
Grundschüler, von denen ein oder zwei Elternteile im Ausland geboren
wurden, im Test verbessern, haben sie in Deutschland weiterhin große
Rückstände. Der Leistungsvorsprung von Kindern mit hierzulande
geborenen Eltern betrug in Mathematik 31 Punkte – das entspricht fast
dem Lernerfolg eines Schuljahres. In den Naturwissenschaften gab es
sogar 47 Punkte Differenz. Die deutsche Schülerschaft war 2015
vielfältiger und damit komplizierter als bei früheren Tests. Auch
damit lasse sich das mäßige Gesamtergebnis wohl ein Stück weit
erklären, meint der Dortmunder TIMSS-Forscher Bos.

MÄDCHEN HOLEN AUF: In Mathematik und Naturwissenschaften ging der für
diese Fächer lange gewohnte Leistungsvorsprung von Jungen gegenüber
Mädchen zurück. Ob damit aber schon die von Kanzlerin Angela Merkel
(CDU) gern beschworene Begeisterung der Mädchen für die MINT-Fächer
ausbricht? Ganz so rosig ist es dann doch nicht. Die Angleichung lag
an den Jungen, die sich verschlechterten, während ihre
Mitschülerinnen die Leistungswerte hielten oder leicht verbesserten.

GLAS HALB VOLL: So sieht es zumindest die Kultusministerkonferenz
(KMK) der für Schulbildung in Deutschland zuständigen 16 Länder. «Die
Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland erreichen erneut
ihr Kompetenzniveau von 2007, das im internationalen Vergleich im
mittleren Bereich liegt. Dies gelingt trotz einer zunehmend
heterogenen Schülerschaft.» KMK-Präsidentin Claudia Bogedan tröstet
über durchwachsene Leistungen mit dem Hinweis auf ein gutes Lernklima
hinweg: «Den Unterricht in Mathematik und in den Naturwissenschaften
bewerten die Schülerinnen und Schüler positiv.»

GLAS HALB LEER: Dem «TIMSS-Papst» Bos wird etwas bang, wenn er an den
Übergang schwacher Grundschüler auf die weiterführende Schule denkt:
«Mathematisches Lernen in der Sekundarstufe I wird dieser
Schülergruppe erhebliche Schwierigkeiten bereiten.» Falls das so
weitergehe, «muss man in Deutschland Angst haben, abgehängt zu
werden». Zu weniger Reformeifer gebe TIMSS jedenfalls keinen Anlass.
Auch die KMK räumt ein: «Die Studie zeigt, dass wir sowohl am unteren
als auch am oberen Ende des Leistungsspektrums ansetzen müssen.»

UND JETZT PISA: Ob es beim OECD-Test 2015 für die 15-Jährigen ähnlich
mittelmäßige Leistungen gegeben hat, wird sich bei der Vorstellung
der Ergebnisse am 6. Dezember zeigen. PISA-Koordinator Andreas
Schleicher sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Es gibt keinen Grund,
warum Deutschland sich nicht an den leistungsstärksten europäischen
Bildungssystemen orientieren sollte.» Aber auch er warnt vor einer
verringerten Dynamik im deutschen Bildungssystem.

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