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Schulz‘ Bildungs-Potpourri von Tim Braune, dpa

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Nach den Wahlschocks sucht SPD-Kanzlerkandidat Schulz hektisch nach
Themen und Profil. In einer Bücherei im Berliner Brennpunkt-Bezirk
Neukölln präsentiert er 13 Thesen zur Bildung – und verheddert sich
bei den Zahlen.

Berlin (dpa) – Einen schöneren Ort kann es für einen Martin Schulz
nicht geben. Bücher, überall Bücher. «Ich fühle mich nicht nur sehr
wohl, sondern auch zu Hause», sagt der frühere Buchhändler aus
Würselen zu den Schülern und Jugendlichen, die sich am Donnerstag in
der Helene-Nathan-Bibliothek im Berliner Brennpunktbezirk Neukölln
versammelt haben. Bildung ist hier ein besonders heißes Eisen: 29 000
Schüler, über 14 Prozent gehen ohne Abschluss ins Leben.
Nun aber ist Schulz kein Bücherwurm mehr, sondern ein Kanzlerkandidat
im Krisenmodus. Der Hype ist vorbei, seine SPD hat in Saarbrücken,
Kiel und in ihrer Herzkammer Nordrhein-Westfalen die Wahlen klar
verloren. Die bundesweiten Umfragen nähern sich dem Niveau, das die
SPD unter Parteichef Sigmar Gabriel hatte, die CDU liegt bis zu 12
Punkte vorne. Wochenlang wirkte Schulz wie abgetaucht.

Angekündigt ist das Event von der SPD als Aufschlag zur
Bildungspolitik. So etwas wie das erste Kapitel eines «Zukunftsplans
für Deutschland», den Schulz am Dienstag in der Bundestagsfraktion
ins Schaufenster gelegt hatte.

«Ich möchte, dass Deutschland das weltweit stärkste Land in der
Bildung wird», ruft er. So weit, so gut. Da kann niemand
widersprechen. Die FDP ist mit diesem Slogan gerade ziemlich
erfolgreich unterwegs. Was Schulz in 28 Minuten eher unstrukturiert
und angespannt vorträgt, ist wenig kontrovers, gehört zum
sozialdemokratischen Bildungs-Bauchladen. Kostenfreie Kitas, Unis,
Meisterausbildungen. Das Kooperationsverbot abschaffen («In
Verfassungsrecht gegossener Irrtum»), damit der Bund den Ländern mehr
Kohle geben und mitreden kann.

Dann wird Schulz konkreter. Eine Million Ganztagsschulplätze will die
SPD schaffen, damit die Kinder nicht mittags auf der Matte stehen und
die arbeitenden Eltern die Krise kriegen. Was kostet das konkret?
«Sehr, sehr viel.» Schulz verweist auf den Industrieländer-Club OECD.
Die Bildungsausgaben lägen im Schnitt bei 5,2 Prozent der
Wirtschaftsleistung. Deutschland mit 4,3 Prozent sei nicht mal
Mittelmaß, schimpft der Genosse. Und rechnet vor. Zehn bis zwölf
Milliarden Euro extra seien nötig, um auf die 5,2 Prozent zu kommen.
Eine «Riesenherausforderung». Aber besser angelegt als Milliarden für
Steuersenkungen und neue Panzer, wie es die Union vorhabe.

Während er weiterredet, werden seine Berater unruhig. Ein
Schulz-Sprecher reicht SPD-Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey
während der Diskussion einen Zettel. Sie gibt ihn an Schulz weiter.
Derweil hält ihm ein Lehrer vor, im Trüben zu fischen: «Vielleicht
lassen Sie sich mal zu einer Zahl hinreißen. Fangen Sie nicht im
Mittelmaß an.»

Schulz stutzt, guckt auf seine Karteikarten. «Hier steht
fettgedruckt: Es reicht nicht, Durchschnitt zu werden.» Der Lehrer
hakt nach. Die skandinavischen Länder würden um die sechs Prozent in
die Bildung pumpen, wär das nicht was? Schulz ist sofort dabei,
übernimmt einfach die Forderung. Nun soll es Spitzenniveau wie in
Finnland und Schweden sein. «Vorausgesetzt, ich werde Kanzler der
Bundesrepublik, dafür brauche ich ’ne Mehrheit, auch der Lehrer.»

Dann erlebt das Publikum eine Überraschung. Schulz hat sich den
Zettel zu den Zahlen angeguckt. Er klärt auf, 30 Milliarden Euro
seien fällig, um OECD-Durchschnitt zu packen. Nicht 10 bis 12
Milliarden. Und skandinavische Verhältnisse würden noch viel teurer
werden.

So etwas kann, sollte einem Kanzlerkandidaten aber nicht passieren.
Rudolf Scharping blamierte sich einst, weil er brutto und netto
verwechselte. Kanzlerin Merkel operierte im NRW-Wahlkampf unlängst
auch mit einer falschen Zahl bei den Verkehrsgeldern gegen die SPD –
und entschuldigte sich nach der Wahl dafür. Die Sozialdemokraten
hatten Merkel «Fake News» vorgehalten. Bereits im Februar war Schulz
in einem Interview eine falsche Zahl in der Debatte über die
Agenda-2010-Reformen durchgerutscht.

Zum Ende hin legt ein 17-Jähriger aus Neukölln den Finger in die
jüngsten SPD-Wahlwunden. Sein Vater stamme wie Schulz aus
Nordrhein-Westfalen: «Ich habe mit Ihnen gelitten.» Die grüne
Schulpolitik in der SPD-Regierung sei ja mit entscheidend für die
Niederlage gewesen. Sei er für ein Abi in zwölf oder dreizehn Jahren,
fragt er Schulz. «Ich persönlich war immer für das 13-jährige
Abitur. Und bin auch nach wie vor dafür», antwortet der. Lehrer,
Eltern und Schüler bräuchten mehr Zeit. Kindern seien nicht nur
Futter für den Arbeitsmarkt: «Schule muss auch Spaß machen.»

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