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Politik streitet um verschleierte Schülerin in Niedersachsen Von Elmar Stephan

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Muslimische Frauen, die sie tragen, sind die große Ausnahme, aber
dennoch wird in Deutschland seit Monaten über ein Verbot von Voll-
und Gesichtsschleier (Burka und Nikab) diskutiert. In Niedersachsen
trägt eine Schülern einen Nikab – was auch den Landtag beschäftigt.

Belm (dpa) – Wie sie aussieht, wissen ihre Familie und ihre
Freundinnen, aber sonst kaum jemand. Eine Schülerin, die die zehnte
Klasse einer Oberschule in Belm bei Osnabrück besucht, ist dennoch
seit dem Herbst Gegenstand politischen Streites in Niedersachsen.
Denn das Mädchen trägt seit dem siebten Schuljahr einen Nikab – einen
Gesichtsschleier, der nur die Augen frei lässt. Die Schule hat
bislang vergeblich versucht, Schülerin und Eltern davon zu
überzeugen, den Schleier abzulegen.

Nachdem der Fall im Herbst bekannt wurde, zeigte sich die Opposition
im niedersächsischen Landtag empört. Die CDU-Fraktion warf
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SDP) in der Sache «Nichtstun»
vor und forderte sogar eine Anklage gegen sie wegen vorsätzlicher
Verletzung ihres Amtseides. Angefeuert hat die Debatte noch, als
bekannt wurde, dass die Familie der 16-Jährigen vom Verfassungsschutz
beobachtet wird. Vater und Bruder des Mädchens sollen Mitglieder der
schon seit Jahren in Deutschland verbotenen islamistischen
Organisation «Kalifatstaat» sein und Kontakt zu einem Gefährder
gehabt haben.

Was soll das Kultusministerium in diesem Fall tun, bei dem zwei vom
Grundgesetz garantierte Rechte aufeinandertreffen? Denn einerseits
ist die Religionsfreiheit in Artikel vier des Grundgesetzes
garantiert. Auf der anderen Seite steht der Bildungs- und
Erziehungsauftrag der Schule, der in Artikel sieben des Grundgesetzes
verankert ist.

Der Vollschleier ermöglicht nicht mehr die offene Kommunikation im
Unterricht. Aus Sicht der Pädagogik ist nicht nur das gesprochene
Wort wichtig, sondern auch nonverbale Elemente wie die Körpersprache.
Auch die Identifizierung der Schülerin, etwa bei Prüfungen, ist
schwierig.

Alle Überzeugungsversuche haben bislang nichts gefruchtet. Bei dem
Mädchen handele es sich um eine Ausnahme, und ihr Verhalten werde
lediglich geduldet, um ihr den Schulabschluss in diesem Frühjahr zu
ermöglichen, hatte Heiligenstadt im November im Landtag erklärt.

Das Mädchen sei gut integriert, es habe freundschaftliche Beziehungen
zu anderen Schülerinnen. Der Nikab werde abgenommen, wenn keine
männlichen Personen anwesend seien, heißt es aus dem
Kultusministerium. Bisher sei es aufgrund der Vollverschleierung
nicht zu Störungen des Schulfriedens gekommen. Die Vielzahl von
Medienanfragen sei aber belastend für die Schule.

Wenn es keine Probleme in der Schule gebe – warum werde der Fall dann
zum Problem gemacht, fragt Islamismus-Experte Werner Schiffauer,
Professor für vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie an der
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Das Anlegen des Nikab
könne auch seinen Grund in der Pubertät des Mädchens haben. «Aus
pädagogischen Gründen halte ich das nicht für sinnvoll, daraus eine
Staatsaffäre zu machen», sagt Schiffauer. «In diesem Fall erhöht man
den Druck auf das Mädchen, und das führt oft zu einer
Radikalisierung.» Er würde zu einem «weichen Kurs» raten und das
Mädchen nicht unter Druck setzen, was sie weiter von der Gesellschaft
entfremde.

Die Diskussion in Niedersachsen ist eingebettet in einen europaweiten
Streit um den Umgang mit Kopftuch und Verschleierung. In Frankreich
ist das Tragen der Burka verboten, im Sommer wurde dort heftig um ein
Verbot der Badebekleidung Burkini gestritten. Norwegen will den Nikab
aus Schulen und Universitäten verbannen, auch die Niederlande wollen
Nikab und Burka verbieten. Die Bundesregierung plant ein
Verschleierungsverbot für Beamte, die CDU in Niedersachsen will
Kopftuch und Schleier in Gerichten verbieten lassen, auch die CSU
will Verschleierungen untersagen.

Die islamische Theologin Silvia Horsch von der Universität Osnabrück
sieht in dieser Debatte eine «Symbolpolitik»: Von den muslimischen
Frauen trüge nur eine Minderheit ein Kopftuch, und davon sei es
wiederum eine verschwindend kleine Minderheit, die einen
Gesichtsschleier anlege. «Verbote werden breit diskutiert, weil es
Ängste in der Bevölkerung vor einer Islamisierung gibt», vermutet
Horsch. Problematisch sei, dass Dinge verboten werden sollen, die als
Symbole des muslimischen Glaubens wahrgenommen werden. Das werde von
den Betroffenen durchaus als Ablehnung des Islam interpretiert. Die
Burka- und Nikab-Debatte könnte daher zu einer weiteren
Radikalisierung beitragen.

Eine kleine Zahl vollverschleierter Frauen auf den Straßen sei für
die Gesellschaft zu verkraften, sagt Horsch: «Man kann nicht alles
verbieten lassen, was einem nicht gefällt – da müsste die
Gesellschaft auch in der Lage sein, ein paar Unterschiede
auszuhalten.»

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