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Merkels neue Zeitrechnung und die Angst vor Populisten im Wahlkampf Von Kristina Dunz

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Merkel hat ihre vierte Kanzlerkandidatur mit Neugier begründet. Die
Opposition sieht darin aber noch keine neue Politik – sie wirft ihr
ein «Weiter so» vor. Was verbindet: Die Sorge vor dem Profit von
Populisten.

Berlin (dpa) – Es ist ihre xte Regierungserklärung und doch ihre
erste. Die Rede einer neuen Zeitrechnung. In der Generalaussprache
über den Bundeshaushalt, die traditionelle Abrechnung der Opposition
mit dem Kanzleramt. Es ist der erste Auftritt Angela Merkels im
Parlament nach ihrer Ankündigung, auch 2017 für die Union anzutreten.
Im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft – für ihren schwierigsten
Wahlkampf. Mit all den neuen Anfeindungen durch Populisten und eine
von Hassbotschaften im Internet veränderte Meinungsbildung.

Merkel hatte am Sonntag, dem Tag ihrer Ankündigung, noch gesagt, dass
sie Neugier verspüre. Neugier, ein neues Wort von ihr. Ungewöhnlich
für eine Frau, die seit 26 Jahren Politik macht. Neugierde ist dann
in ihrer mit 40 Minuten vergleichsweise langen Rede am Mittwoch aber
weniger zu spüren. Mehr die gewohnte Geschäftsmäßigkeit der Kanzlerin
beim Durchdeklinieren schwerster Themen.

Die 62-Jährige bleibt überwiegend dabei, ihre großen Linien für das
Land aufzuzeigen: Die Achtung der Werte wie Freiheit und Recht – ohne
den künftigen US-Präsidenten Donald Trump auch nur einmal zu
erwähnen. Den nötigen «Gesprächsfaden» mit der Türkei, die Kritik an
Russlands Kriegspolitik in Syrien, die Chancen der Globalisierung,
die Notwendigkeit internationaler Handelsabkommen, die gute
Wirtschaftslage in Deutschland, wo erneut zugunsten der jungen
Generation keine neuen Schulden gemacht werden. Es sei ein Haushalt
der sozialen Marktwirtschaft und sozialen Gerechtigkeit. Ja, auch,
wenn «ich weiß, dass viele Menschen Not haben.»

Die Kanzlerin will weg vom Negativen, will Errungenschaften nennen,
um das Land nicht miesmachen zu lassen. Sie ist aber einfach nicht
der emotionale Typ, den sich manche jetzt als Gegengewicht zu
Populisten wünschen. Auch wenn sie sich Mühe gibt, einfacher zu
formulieren, fast frei spricht und wie selten auf Die Linke eingeht.

Auf deren Zwischenruf, wonach das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen eine
«Schande» sei, hält Merkel aber inne und warnt: «ganz vorsichtig». Es
würden Menschen gerettet und Schlepper gefasst. Merkel bezeichnet
auch die Rede von Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht als ein
«Stück Populismus». Für ihre Verhältnisse ist das viel – im Ringen um
Menschen aber noch wenig, fürchten Unionspolitiker.

Wie man auch eine so gewiefte und rhetorisch geschulte Wagenknecht
auf die Palme bringen kann, führt dann SPD-Fraktionschef Thomas
Oppermann vor: «Früher hieß es: Proletarier aller Länder vereinigt
euch. Heute heißt es: Populisten aller Länder vereinigt euch. Ihre
Antwort auf den Populismus von Rechts ist mehr Populismus von Links.»

Wagenknecht hatte die schwarz-rote Koalition zum Aufakt der Debatte
verteufelt. Ihre Schlagworte: Raubtierkapitalismus, großkoalitionäre
Einheitspolitik, demoliertes Sozialsystem, Zweiklassenmedizin, ein
chronisch unterfinanzierte Bildungssystem, keine Frischluft in
muffigem Konsens. «Der einfache Bürger kämpft ums Überleben», ruft
sie. Der Satz, der ihr dann aber vor allem Oppermanns Zorn einträgt,
ist dieser über die Koalition: «Offenbar hat ja selbst noch ein
Donald Trump wirtschaftspolitisch mehr drauf als Sie.»

Der SPD von Vizekanzler Sigmar Gabriel ist am Mittwoch erst einmal
wieder klar: Mit dieser Linken würde es schwer, ein rot-rot-grünes
Bündnis zu verwirklichen. Die derzeit einzige Möglichkeit für die
Sozialdemokraten, einmal wieder den Kanzler zu stellen.

Was Wagenknecht und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter eint: Merkel
wolle trotz aller Konflikte «weiter so» machen. Doch Hofreiter bietet
anders als Wagenknecht seine Partei als Helfer an. «All das ist
politisch änderbar», sagt er an Merkel gerichtet. Womöglich in einer
schwarz-grünen Koalition? «Unmut entsteht häufig aus
Alltagserfahren», warnt er. Wie aus Angst vor sozialem Abstieg. Es
müsse verhindert werden, dass «Frust an Minderheiten ausgelassen
wird». Damit meint er auch Hass gegen Flüchtlinge.

Die Kanzlerin haut auch an diesem Tag nicht so auf den Putz, wie es
die CSU zur Abwehr der rechtspopulistischen AfD für nötig hält. Sie
lobt im Rückblick auf die Flüchtlingskrise 2015 noch einmal den
Zusammenhalt vieler Menschen im Land, sie zählt die Verschärfungen in
der Asylpolitik auf, und mahnt, dass abgelehnte Asylbewerber auch
abgeschoben werden müssten. Viel Applaus aus der Union bekommt dann
aber CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt für diesen Satz: «Es
gilt unsere Werteordnung.» Das heißt: Flüchtlinge müssen sich
integrieren und anpassen.

Was Merkel jetzt wichtig ist, sagt sie am Anfang und am Ende: Die
Chancen und Risiken durch die Digitalisierung. Bei aller Sorge vor
Überforderung könnte dieser dramatische Wandel die Menschen auch
beruhigen – etwa, wenn etwas einfacher werde wie beim Autofahren. Was
den Wahlkampf 2017 betrifft, wird vieles aber erst einmal
schwieriger: Es sei ein völlig anderes mediales Umfeld entstanden, im
Internet kursierten gefälschte Nachrichten, Roboter machten Meinung,
Kontrolle fehle, sagt sie. Für Politiker ist das gefährlich. Merkel,
Oppermann, Hofreiter – viele sagen, sie wollten die Menschen wieder
für Demokratie begeistern. Fragt sich nur, wie.

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