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IQB-Bildungstrend, TIMSS, PISA – Zeugnis-Zeit für deutsche Schüler Von Werner Herpell

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Es ist Zeugnis-Zeit: Der regionalen IQB-Studie zu Neuntklässlern in
Deutsch und Englisch folgen TIMSS-Ergebnisse der Jahrgangsstufe 4 in
Mathe und Naturwissenschaften. Kurz darauf dann das Test-Highlight
PISA – für Deutschland gehen Experten von einer soliden Note 3 aus.

Berlin (dpa) – Die Spannung steigt. Am 6. Dezember veröffentlicht die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) ihre sechste PISA-Bildungsstudie. Zehntausend 15-Jährige in
Deutschland und mehr als eine halbe Million weltweit ließen sich
dafür auf fünf Kompetenzfeldern testen. Eine Woche zuvor, am 29.
November, werden TIMSS-Zeugnisse zur mathematischen und
naturwissenschaftlichen Kompetenz von Grundschülern präsentiert. Ein
Überblick über die heißen Bildungstest-Wochen in diesem Herbst.

Wie ist die Ausgangslage vor der sechsten PISA-Auflage seit 2000?

Nach dem «PISA-Schock» vor 15 Jahren und diversen Bildungsreformen
wurde die Kompetenz deutscher Schüler 2003, 2006, 2009 und 2012
stetig besser, ohne dass es zu Spitzenrängen reichte. So steigerte
sich Deutschland in Mathematik von 490 auf 514 Punkte, näherte sich
dem europäischen PISA-Vorbild Finnland (519) an, war von asiatischen
Ländern wie Japan (536) aber noch weit entfernt. In Lesekompetenz
stieg die Formkurve von 484 auf 508 Punkte (Finnland 524, Japan 538),
in Naturwissenschaften ging es von 487 auf 524 Punkte hoch (Finnland
545, Japan 547). Darauf gilt es aufzubauen. «Es gibt keinen Grund,
warum Deutschland sich nicht an den leistungsstärksten europäischen
Bildungssystemen orientieren sollte», sagt PISA-Chefkoordinator
Andreas Schleicher im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Soll Deutschland auch mit asiatischen Musterschülern konkurrieren?

An der PISA-Spitze standen mit großem Vorsprung asiatische Länder
oder Regionen wie Shanghai (613 Punkte!), Singapur, Hongkong und
Korea. PISA-Experte Schleicher hebt hervor, dass dort im Gegensatz zu
vielen europäischen Ländern die besten Lehrer oft vor den
schwierigsten Schülern stehen – das zahle sich eben aus. Die
Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Claudia Bogedan (SPD), hält
dem entgegen: «Selbst wenn die OECD immer wieder auf deutlich bessere
Ergebnisse in Asien hinweist: Der Vergleich mit autoritär regierten
Ländern kann für uns nicht sinnvoll sein, die dortigen
Bildungssysteme sind für Deutschland insofern auch kein Maßstab.»

Wie steht es um den oft kritisierten Zusammenhang zwischen sozialer
Herkunft und Bildungsgerechtigkeit in Deutschland?

Dies war beim PISA-Desaster 2000/2001 der peinlichste Befund: Kinder
aus sozial schlechter gestellten Familien schnitten viel schwächer ab
als bessergestellte Mitschüler. Das Phänomen wurde bis zum PISA-Test
2012 registriert, wenngleich in weniger dramatischer Form. Auch
andere Bildungsstudien gaben keine Entwarnung. Immerhin: Deutschland
lag 2012 in den PISA-Disziplinen Lesen/Textverständnis, Mathematik
und Naturwissenschaften über dem OECD-Schnitt – zugleich schnitten
«bildungsferne» Schüler besser ab als zur Jahrtausendwende. «Man muss
aber sehen, dass kein Bildungssystem langfristig erfolgreich sein,
ohne Chancengerechtigkeit sicherzustellen», mahnt Schleicher. «Wie
wir mit den (…) Schülern mit den schlechtesten Ausgangsbedingungen
umgehen – das sagt etwas über uns selbst aus.»

Was ist von PISA 6.0 zu erwarten?

Der im Mai 2015 organisierte Test für weltweit mehr als 500 000
Schüler in gut 70 Ländern war inhaltlich so breit aufgestellt wie nie
zuvor. Zusätzlich wurden Kompetenzfelder wie Problemlösen im Team und
Wohlbefinden der Schüler auf den Prüfstand gestellt – wohl auch um
Kritik vorzubeugen, die OECD orientiere sich zu sehr am «Nutzwert»
von Schule für den Arbeitsmarkt. «PISA-Papst» Schleicher, lange Zeit
ein scharfer Kritiker des deutschen Bildungswesens, warnt vor
Stagnation. Reformdynamik habe «das Land wirklich nach vorn gebracht.
Man muss aber leider sagen, dass der Schwung in den vergangenen
Jahren wieder abgeflaut ist – und das ist langfristig sehr schade.»
Wie sich dies für Deutschland auswirkt, wird man am 6. Dezember
wissen. Die Erwartungen entsprechen wohl nur einer soliden Note 3.

Könnte der PISA-Aufwärtstrend bald wieder zu Ende sein, weil die
Bildungsintegration Hunderttausender Flüchtlinge Spuren hinterlässt?

So hatte sich zuletzt etwa Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD)
geäußert und ein Abrutschen Deutschlands im PISA-Ranking nach 2016
prognostiziert. Schleicher empfiehlt Gelassenheit: «Dass sich der
Flüchtlings-Effekt auf die PISA-Resultate auswirkt, ist statistisch
gar nicht möglich. Da ist der Anteil von Geflüchteten viel zu klein,
um für ein Land wie Deutschland signifikante Veränderungen im
Gesamtergebnis zu bewirken. Was mir auch nicht passt bei solchen
Befürchtungen, ist die Annahme: Alle Flüchtlinge können nichts.»

Kurz vor PISA kommen die TIMSS-Zahlen. Worum geht es dabei?

Alle vier Jahre erfasst TIMSS (Abkürzung für «Trends in International
Mathematics and Science Study») das Grundverständnis von Schülern in
Mathematik und Naturwissenschaften. In Deutschland wurden unter
Leitung des Bildungsforschers Wilfried Bos, Professor, an der
Technischen Universität Dortmund, etwa 4000 Kindern der vierten
Jahrgangsstufe an 200 Grund- und Förderschulen getestet. Am 29.
November wird die Studie in Berlin vorgestellt. 2007 und 2011
rangierten deutsche Grundschüler bei TIMSS international im vorderen
Drittel. Aber: Auffällig wenige Kinder erreichten hierzulande die
oberste Kompetenzstufe, und die Zahl der «Risikoschüler» war mit etwa
einem Fünftel hoch.

Nur zur Erinnerung: Was kam im Oktober beim IQB-Bildungstrend heraus?

Nach dieser regionalen Kompetenzstudie haben sich Schüler der neunten
Klassen im Fach Englisch zuletzt deutlich verbessert. In Deutsch
dagegen herrscht Stagnation. Nach Ländern geordnet, fand das Institut
zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Vergleich zu
2008/2009 heraus: Bayern bleibt bei Bildungserfolgen insgesamt vorne,
Schleswig-Holstein und Sachsen sind die Aufsteiger, Bremen und Berlin
weiterhin oft Schlusslichter. Das erfolgsverwöhnte Baden-Württemberg
stürzt ab – was Ende Oktober umgehend eine Debatte über Sinn oder
Unsinn einschneidender Schulreformen wie im «Ländle» auslöste.

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