Jahrelang blieb der Anteil von Studenten mit Auslandserfahrung
konstant – trotz eines europäischen Hochschulraums mit Bachelor und
Master. Jetzt zieht es wieder mehr Studenten für ein Semester oder
ein Praktikum ins Ausland. Ein später Erfolg der Bologna-Reformen?
Berlin (dpa) – Ein Semester in Paris, ein Praktikum in London oder
ein Sprachkurs in Rom: Auslandsaufenthalte sind bei deutschen
Studenten ziemlich beliebt. Und es sieht so aus, als ob die Lust auf
fremde Länder und Kulturen weiter zunimmt. Jahrelang verharrte der
Anteil derer, die zumindest für ein paar Wochen oder Monate der
Heimat-Uni den Rücken kehren, bei rund einem Drittel. Von 2013 bis
2015 stieg er dann recht deutlich von 32 auf 37 Prozent.
Fachleute sehen darin auch eine – wenn auch späte – Wirkung der
Bologna-Reformen mit der Umstellung auf die international
vergleichbaren Bachelor- und Masterstudiengänge. «Die Unsicherheit
hat sich gelegt», sagt Jan Kercher vom Deutschen Akademischen
Austauschdienst (DAAD).
Allerdings ist die Lust aufs Ausland sehr unterschiedlich ausgeprägt
– zwischen Fachhochschule und Universität oder zwischen Bachelor- und
Master-Abschluss. Auch die von der Politik ausgegebene Zielmarke von
50 Prozent, die im Lauf ihres Studiums zumindest einen kurzen
Auslandsaufenthalt absolvieren sollen, liegt noch in weiter Ferne.
«Das Ziel ist sehr ambitioniert, aber nicht unmöglich», sagt Kercher.
Zur Erinnerung: Mit dem 1999 gestarteten Bologna-Prozess sollte ein
gemeinsamer Hochschulraum für Europa entstehen. Eine einheitliche
Studienstruktur mit aufeinander aufbauenden Abschlüssen soll
Hochschulwechsel und Auslandsaufenthalte erleichtern. Bachelor und
Master ersetzten die etablierten Diplom- und Magisterstudiengänge.
Doch an den neuen Studiengängen gab und gibt es viel Kritik. zu
verschult, zu straff und zu unflexibel, ausgerichtet auf den
schnellen Berufseinstieg und weniger dem breiten Wissenserwerb
verschrieben, so lauten die Vorwürfe.
Die Folge: Ein Auslandssemester schien vor allem Bachelor-Studenten
kaum in den Zeitplan zu passen. «Die Umstellung war neu für die
Studenten. Alle dachten: Ich muss auf jeden Fall in sechs Semestern
fertig sein», sagt Kercher. Mittlerweile habe sich die Ansicht
durchgesetzt, dass ein Auslandssemester auch lohnt, wenn man dafür
ein bisschen länger studiert. Zudem hätten auch die Hochschulen
reagiert und etwa vollgestopfte Studiengänge entrümpelt oder feste
Mobilitätsfenster eingerichtet.
Bildungsforscher Christoph Ehmann macht indes vor allem statistische
Effekte für den Anstieg der Auslandsmobilität verantwortlich. Derzeit
würden auch Kurzaufenthalte von wenigen Wochen mitgezählt – für den
ehemaligen Staatssekretär im Kultusministeriums von
Mecklenburg-Vorpommern eine statistische «Verschönerung». Mit den
Bologna-Reformen habe die Steigerung nichts zu tun.
«Ein Auslandssemester kommt nicht von allein», erklärt
Hochschulforscher Tino Bargel von der Universität Konstanz. Alle
Beteiligten müssten etwas dafür tun. Studenten müssen viel
organisieren, Hochschulen Angebote und Beratung ausbauen – und der
Staat mehr für die finanzielle Förderung tun. Die
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) fordert denn auch, die Finanzierung
von Auslandsaufenthalten weiter zu stärken, vor allem für Studenten
aus einkommensschwächeren Schichten.
Denn laut DAAD ist (fehlendes) Geld immer noch der Hauptgrund, warum
Auslandspläne scheitern. Dabei sind sich die Fachleute einig, dass
die Fördermöglichkeiten nirgendwo so gut sind wie in Deutschland.
«Wer wirklich ins Ausland will, wird nicht an finanziellen Hürden
scheitern», ist sich Kercher sicher. Das Bundesbildungsministerium
verweist darauf, dass die Studenten die Angebote nur nutzen müssten.
Auch Bildungsforscher Bargel sagt: «Studenten haben da mehr
Möglichkeiten, als sie oft selber wahrnehmen.»
Für den DAAD-Experten Kercher liegt der Schlüssel in besserer
Information. «Vorurteile, Auslandssemester wären teuer und würden
Zeit kosten, halten sich sehr hartnäckig.» Der DAAD wirbt deshalb
schon bei Schülern für Auslandsaufenthalte während des Studiums.
Zweite Baustelle ist die Anerkennung der im Ausland erbrachten
Leistungen. «Die deutschen Hochschulen nehmen es da leider sehr
genau», sagt Kercher. Mittlerweile berichten 70 Prozent der
Studenten, dass alle Leistungen von der Heimat-Uni anerkannt wurden.
«Wir sehen da noch Luft nach oben.»