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«Loyal und fleißig» – Immer mehr Flüchtlinge als Azubis

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Aus humanitären Gründen, vor allem aber um den Fachkräftemangel zu
verringern, bilden immer mehr Mittelständler Flüchtlinge aus. Die
Erfahrungen sind oft gut; aber ein Hemmnis bleibt.

Stuttgart (dpa) – Sie werden Einzelhandels- und
Versicherungskaufleute, Industriemechaniker oder auch
Hotelfachkräfte, und ihre Arbeitgeber loben sie oft über alle Maßen:
Flüchtlinge als Auszubildende sind motiviert, lernfähig, fleißig und
loyal dem Unternehmen gegenüber, berichten Mittelständler. Mehr als
28 000 junge Menschen aus den acht Hauptasyl-Herkunftsländern sind
derzeit in Deutschland in Ausbildung, heißt es bei der
Bundesarbeitsagentur. Das sind fast sechsmal so viele wie 2014,
Tendenz weiter steigend.

Seit 2015 arbeitet der Eritreer Tedros Gebru beim Kabelspezialisten
Lapp in Stuttgart. Nach einer achtmonatigen Einstiegsqualifikation
begann der heute 27-Jährige mit der Ausbildung zum Maschinen- und
Anlagenführer, die er mittlerweile abgeschlossen hat. Er ist Vorbild
für weitere 15 Flüchtlinge unter den insgesamt 65 Lapp-Azubis. Am
(heutigen) Donnerstag besuchen Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender das Unternehmen im Rahmen
der Woche Berufliche Bildung. «Die Sprache lernen, das ist das
Wichtigste», schildert Tedros Gebru seine Erfahrungen.

Mangelnde Deutschkenntnisse sind bis heute die größte Hürde bei der
Einstellung von Flüchtlingen – das gaben im Februar bei einer Umfrage
der Unternehmensberatung EY 83 Prozent der befragten Unternehmen an.
Gleichzeitig glaubt demnach die Mehrheit, dass Flüchtlinge den
Fachkräftemangel lindern können, und bereits jeder vierte
Mittelständler gibt an, Flüchtlinge zu beschäftigen.

Beim Familienunternehmen Lapp ist der Einsatz von Flüchtlingen sowohl
aus humanitären als auch unternehmerischen Gründen
selbstverständlich. Man sei sich bewusst, dass Flüchtlinge mehr
Unterstützung benötigten als Auszubildende, die in Europa
aufgewachsen seien, sagt Ausbildungsleiter Thilo Lindner. Aber:
«Alles, was man in sie investiert, zahlt sich wieder aus. Für uns ist
das eine echte Erfolgsgeschichte.» Viele Flüchtlinge brächten eine
große soziale Freundlichkeit und zudem sehr gute
naturwissenschaftliche Grundlagen mit. So wie Tedros Gebru, der im
ostafrikanischen Eritrea vor seiner Flucht als Elektriker arbeitete.

Problematisch sind die Kentnisse, die die jungen Menschen in der
Heimat erworben haben, dennoch. «Oft haben sie dort anders
gearbeitet, mit weniger modernen technischen Mitteln», sagt Bernhard
Boockmann vom Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung.
«Jemand, der schon einmal in Syrien oder im Irak tätig war, hat
längst noch nicht alles gelernt, was er hier braucht.» Vor allem in
der Berufsschule täten sich viele Flüchtlinge schwer – zum einen
wegen der Sprache, zum anderen, weil die Priorität in den
Heimatländern eher auf der Praxis als auf der Theorie liege.

Das bestätigt auch Constantin Bräunig vom Netzwerk «Unternehmen
integrieren Flüchtlinge», der Flüchtlings-Initiative des Deutschen
Industrie- und Handelskammertags (DIHK). «Es passiert, dass die
Geflüchteten in der Ausbildung sehr gut sind, aber dann aus der
Berufsschule Fünfen und Sechsen mitbringen.» Die Kammern versuchten
zu helfen, könnten jedoch auch nicht einfach so bestehende Standards
aufweichen. Dafür seien die Unternehmen sehr aktiv: Viele
finanzierten Deutschkurse und Lehrmaterialien, auch Kollegen aus der
Belegschaft unterstützten die ausländischen Azubis als Mentoren.

Die DIHK-Initiative zählt mittlerweile fast 1800
Mitgliedsunternehmen, monatlich kommen bis zu 50 weitere hinzu. Drei
Viertel der Mitglieder sind kleine und mittlere Unternehmen.
Bundesweit haben sich zudem viele Firmen der Wirtschaftsinitiative
«Wir zusammen» angeschlossen – darunter Riesen wie der
Versicherungskonzern Allianz, die Autobauer Opel und VW sowie
Siemens, Airbus und DHL, aber auch die Berliner Verkehrsbetriebe und
der Kekshersteller Bahlsen.

Ansatz der Netzwerke ist der Gedanke, dass vor allem Ausbildung und
Arbeit einen Beitrag zur gelungenen Integration leisten können. Die
Wirtschaft, vor allem kleinere Unternehmen, benötigt jedoch auch
Hilfe von den Netzwerken – etwa beim bürokratischen Aufwand, einen
Flüchtling auszubilden oder einzustellen, und vor allem auch dann,
wenn es um eine mögliche Abschiebung geht. «Immer wieder bekommen wir
verzweifelte Anrufe von Firmen, es gebe einen Abschiebungsbescheid,
was nun zu tun sei», sagt Bräunig.

Bei Azubis kann für die Dauer der Ausbildung eine Ausbildungsduldung
angestrebt werden und der Aufenthalt außerdem für weitere zwei Jahre
verlängert werden. Allerdings agieren die Ausländerbehörden
bundesweit recht unterschiedlich, und jeder Fall mit seinen
Besonderheiten wird einzeln geprüft, ist die Erfahrung beim
DIHK-Netzwerk. «Das führt zur Unsicherheit bei der Personalplanung
und wird deshalb von den Unternehmen oft als Hemmnis für den Einsatz
von Flüchtlingen angeführt», sagt Bräunig.

Die Unternehmen, die sich dennoch dafür entscheiden, bereuen es meist
nicht. Bei Lapp ist man mehr als froh, Tedros Gebru im Team zu haben.
«Er ist talentiert, ehrgeizig und ein super Mitarbeiter und Kollege»,
sagt Ausbildungsleiter Lindner über den jungen Mann.

Gebru selbst schätzt bei Lapp vor allem die familiäre Atmosphäre. Er
fühle sich dort und generell in Deutschland sehr wohl, sagt er.
«Nächstes Jahr mache ich vielleicht sogar meinen Meister, schauen wir
mal.» Die Sprachkenntnisse dazu hat er längst. Nur wenn der junge
Eritreer nach seiner Flucht gefragt wird – unter anderem gemeinsam
mit 360 Menschen ohne Nahrung und Wasser in einem seeuntüchtigen
Boot, das eine Woche auf dem Mittelmeer trieb – dann fehlen ihm die
Worte. «Da hilft keine Sprache», sagt er, «die meisten, die dabei
waren, sind gestorben.»

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