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Lehre aus dem NS-Staat: Vielfalt statt Zentralismus Von Nada Weigelt

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Der Terrorismus geht längst über alle Grenzen hinweg. Ist der
deutsche Föderalismus angesichts der aktuellen Gefahren noch
zeitgemäß? Innenminister de Maizière hat eine sehr grundsätzliche
Debatte angestoßen.

Berlin (dpa) – Es ist ein Sturm der Entrüstung, den Innenminister
Thomas de Maizière (CDU) ausgelöst hat. Mit seinem Ruf nach mehr
Sicherheitskompetenzen für den Bund hat er vor allem die Länder
verärgert. Von einem «Frontalangriff auf das föderale Prinzip der
Bundesrepublik» war die Rede, von einer «Gefahr für die demokratische
Grundordnung», gar vom «Einstieg in einen autoritären Polizeistaat».

Dabei ist die Debatte nicht neu. Schon 2004 hatte der damalige
Innenminister Otto Schily (SPD) als Antwort auf Terror und
Organisierte Kriminalität eine Zentralisierung des
Verfassungsschutzes gefordert. Die bisherige föderale Struktur sei
ein «Sicherheitsrisiko», warnte er.

Dass der Aufschrei bei solchen Vorstößen groß ist, muss nicht
wundern. Denn die Diskussion rührt an die Grundfesten der
ausgeklügelten Machtbalance zwischen Bund und Ländern.

«Die Zuständigkeit für Polizei und Innere Sicherheit gehört zu den
Kernkompetenzen der Bundesländer», sagt die Politologie-Professorin
Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin in einem Gespräch mit
der Deutschen Presse-Agentur. «Insofern ist die Frage: Wie weit kann
man den Ländern Kompetenzen wegnehmen oder sie aushöhlen, ohne das
föderale System aufzugeben?»

Dass der sperrige Begriff Föderalismus (vom lateinischen foedera:
Bünde, Verträge) in Deutschland so hoch geschätzt wird, hat
historische Gründe. Das System reicht bis weit in die deutsche
Geschichte zurück, letztendlich bis ins Mittelalter mit seinen
Stadtstaaten und Fürstentümern. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es
als Lehre aus der NS-Zeit von den westlichen Siegermächten
wiederbelebt – als Garant gegen Machtmissbrauch.

Nie mehr sollte nach der Schreckensherrschaft der Nazis und dem
Völkermord an sechs Millionen Juden wieder ein zentralistischer
Einheitsstaat auf deutschem Boden möglich sein. Gerade im
Sicherheitsbereich war die Rolle der allmächtigen Geheimen
Staatspolizei (Gestapo) das abschreckende Beispiel. Das Grundgesetz
schreibt deshalb unwiderruflich die Gliederung des Staates in Länder
vor. Die Macht des Bundes ist durch die Rechte der Länder begrenzt.

Auch in der Sowjetischen Besatzungszone wurden nach dem Krieg die
Länder neu gegründet, allerdings alsbald 1952 wieder abgeschafft, um
die Herrschaft der Staatspartei SED zu stärken. Erst nach der
Wiedervereinigung bekamen die fünf Länder Sachsen, Thüringen,
Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sowie das
wiedervereinigte Berlin eigenstaatliche Rechte.

Allerdings sind nach Ansicht des Erlanger Politologen Roland Sturm
(«Der deutsche Föderalismus») die Grundsätze längst ausgehöhlt. So
hätten die Länder schon seit Jahrzehnten kaum mehr Zugriff auf eigene
Steuerquellen. Mit der Verpflichtung auf die Schwarze Null im Etat
seien sie seit der Föderalismusreform 2009 nicht mal mehr Herr ihrer
Ausgaben, kritisiert der entschiedene Föderalist.

Er spricht von einem Henne-Ei-Problem. «Erst verlieren die Länder
Kompetenzen und Geld, und dann wird ihnen vorgeworfen, sie seien
handlungsunfähig.» Für die Gesellschaft bedeute das weniger
Bürgernähe, weniger Transparenz, weniger Rücksicht auf regionale
Besonderheiten. «Der Staat verliert ständig an demokratischer
Qualität», meint der Wissenschaftler Sturm.

Tatsächlich ist das Selbstverständnis Deutschlands als Kulturnation
bis heute von der Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Regionen
geprägt. Vom alpenländischen Schuhplattler bis zum Wuppertaler
Ausdruckstanz, vom rheinischen Karneval bis zur Berliner Love Parade
– all das macht gerade in seiner Buntheit und manchmal skurrilen
Mischung viel vom Lebensgefühl der Deutschen aus. 

Kritiker des Föderalismus sehen in der Kleinstaaterei jedoch auch
entscheidende Nachteile. Die Mitsprache der starken Länderfürsten
über den Bundesrat führt zu oft monatelangen, lähmenden
Vermittlungsverfahren, die Entscheidungswege sind lang und
kompliziert, und die Doppelstrukturen in Land und Bund machen die
Verwaltung teuer.

Mehrfach gab es deshalb Bestrebungen, kleinere Bundesländer
zusammenzulegen – bis auf die Gründung von Baden-Württemberg
1952 ohne Erfolg. 1996 scheiterte die bereits beschlossene Fusion von
Berlin und Brandenburg am mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung.
2003 schlug der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt
Beck glücklos ein Zusammengehen seines Landes mit dem Saarland vor.
Und auch eine Vereinigung von Bremen und Niedersachsen oder Hamburg
und Schleswig-Holstein stößt auf wenig Begeisterung.

«Die Deutschen leben in einer paradoxen Föderalismuswelt», sagt
Professor Sturm mit Hinweis auf zahlreiche empirische Erhebungen.
«Jeder findet die Länder gut und wichtig. Aber im Zweifelsfall sollen
alle politischen Entscheidungen am liebsten auf Bundesebene fallen.»

Besonderer Knackpunkt ist dabei seit jeher die Bildungspolitik. Von
Anfang an war im Grundgesetz die Kulturhoheit der Länder
festgeschrieben. Nach jahrelanger innenpolitischer Debatte wurde sie
2006 noch um ein ausdrückliches Kooperationsverbot ergänzt. Die
Länder hatten damit in der Schul- und Hochschulpolitik allein den Hut
auf, der Bund durfte noch nicht einmal Geld geben.

Seither hat sich das deutsche Schulwesen mehr noch als bisher zu
einem wahren Flickenteppich entwickelt. Jedes Land experimentiert mit
unterschiedlichen Schulformen, Kurs- und Stufensystemen, zwölf- und
dreizehnjährigem Abitur munter vor sich hin. Längst klagen Eltern,
dass sie mit ihren Kindern nicht mehr von einem Bundesland ins andere
ziehen können, die Wirtschaft beschwert sich über nicht vergleichbare
Abschlüsse.

Dennoch ist die Kulturhoheit für die Länder bislang eine ähnlich
heilige Kuh wie die Innere Sicherheit. Nicht zuletzt machte auch das
die Einigung auf einen neuen Finanzausgleich zwischen Bund und
Ländern so schwierig.

Erst nach zweijährigen Verhandlungen verständigten sich beide Ebenen
Ende vergangenen Jahres darauf, dass die Länder ab 2020 jährlich
insgesamt gut 9,75 Milliarden Euro mehr aus der Bundeskasse erhalten.
Der Bund bekommt im Gegenzug mehr Gesetzgebungskompetenzen etwa bei
Fernstraßen und in der Steuerverwaltung – aber auch bei Investitionen
in Schulen.

Für Professorin Kropp, die sich seit Jahren mit dem Politischen
System der Bundesrepublik beschäftigt, muss mehr Mitsprache des
Bundes jedoch nicht notwendig mehr Zentralismus heißen. «Manche
Experten halten eine Rückkehr zur sogenannten Politikverflechtung für
sinnvoller», sagt sie. «Danach würden Bund und Länder stärker
gemeinsam planen, finanzieren und durchführen. Der Punkt wäre aber,
den Bund verpflichtend in diese Aufgaben einzubinden.»

Und was heißt das für die neuen Herausforderungen durch den
internationalen Terrorismus? Die Vizepräsidentin der
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Ines Härtel, ist
skeptisch, ob de Maizières Vorschlag zu einer zentralen
Verfassungsschutzbehörde tatsächlich helfen würde.

«Besser wäre es, die Kooperations- und Kommunikationsstrukturen zu
optimieren», sagt die Verwaltungsrechtlerin. «Vor Ort haben die
jeweiligen Bundesländer bessere Möglichkeiten,
verfassungsschutzbezogene Erkenntnisse zu erlangen. Diesen Vorteil
des Föderalismus sollte man nicht aufgeben.» Nach der
Flüchtlingswelle im vergangenen Jahr habe man gesehen, dass solche
Verbesserungen möglich seien.

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