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Hauptsache gerecht: Nachhaltigkeit als Studienfach und Karrieremotor

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Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.» Das ist ein
Wahlkampfklassiker. Und die perfekte Überschrift für Studiengänge aus
der grünen Welt der Nachhaltigkeit. Denn Gerechtigkeit und
Umweltschutz sind im Trend – und damit auch eine Karrierechance.

Lüneburg/Berlin (dpa/tmn) – Corporate Responsibility. Green Energy.
Transformationsstudien. An schicken neuen Begriffen mangelt es der
Welt der Nachhaltigkeit nicht – aber an Fachkräften. Den Eindruck
kann zumindest bekommen, wer das breite Angebot an Studienfächern
sieht, die das Modewort im Namen tragen oder darauf einen Schwerpunkt
setzen: Da gibt es nachhaltiges Management, nachhaltige Geografie,
Architektur, Design, Tourismus, Nachhaltigkeitsbildung oder
Nachhaltigkeit und Ethik.

Aber was ist Nachhaltigkeit überhaupt? Irgendwas mit Umweltschutz,
oder? Ganz falsch ist das nicht – aber auch längst nicht die ganze
Wahrheit. «Für uns ist Nachhaltigkeit vor allem eine Frage der
Gerechtigkeit – zwischen verschiedenen Regionen der Welt, aber auch
zwischen den Generationen», sagt Matthias Barth, Professor an der
Leuphana Universität Lüneburg und verantwortlich für den Studiengang
Nachhaltigkeitswissenschaft.

Und diese Gerechtigkeit bezieht sich auf ganz verschiedene Fragen.
Klassischer Umweltschutz ist nur eine davon. Hinzu kommen auch
soziale und wirtschaftliche Themen. «Das beste Modell dafür ist
vielleicht ein Ring», sagt Barth. Dessen äußere Grenze sind die
endlichen planetaren Ressourcen – Rohstoffe, saubere Luft, Platz. Und
die inneren Grenzen sind soziale Mindestnormen, wie Barth es nennt.
Also das, was wir für ein menschenwürdiges Leben brauchen.
«Nachhaltige Entwicklung ist jede Entwicklung, die sich zwischen
diesen Grenzen bewegt.»

Ein weites Feld also. Da wundert es nicht, dass es so viele
Studiengänge mit fast ebenso vielen unterschiedlichen Schwerpunkten
zu dem Thema gibt. «Der Fokus für uns ist das Zusammenspiel von
Mensch und Natur, wir sind als Studiengang interdisziplinär zwischen
den Natur- und den Sozialwissenschaften», erzählt Barth. Unter diesem
Fokus geht es dann in Lüneburg zum Beispiel um Stadtplanung oder
Energiewirtschaft. Welchen Schwerpunkt sie legen, entscheiden die
Studierenden selbst – und erschaffen so ihr eigenes Jobprofil.

Wichtig dabei, an der Leuphana genau wie bei vielen anderen
Studiengängen: der Praxisbezug. «Unsere Absolventen sollten nicht nur
schöne Lösungen im Elfenbeinturm entwerfen», sagt Barth. «Wir wollen
interdisziplinäre Akteure ausbilden, die mit den Akteuren vor Ort
praxisnah verhandeln und zusammenarbeiten können.» Deshalb lernen
seine Studenten nicht nur Fachwissen aus ganz verschiedenen Gebieten
wie Ingenieurs- und Naturwissenschaften, sondern auch, wie sie es
später im Berufsalltag abrufen und vermitteln können.

Ganz ähnlich funktionieren auch viele andere Studiengänge aus der
Welt der Nachhaltigkeit. Und es kommen immer mehr hinzu. Der simple
Grund für das Angebot: steigende Nachfrage. «Die Wirtschaft insgesamt
kommt um das Thema Nachhaltigkeit inzwischen nicht mehr herum», sagt
Riccarda Retsch vom Rat für Nachhaltige Entwicklung.

Lippenbekenntnisse zu mehr Umweltfreundlichkeit und Gerechtigkeit gab
es in der Unternehmenswelt zwar schon länger, gerade bei den ganz
großen und internationalen Akteuren. Oft waren das Ergebnis aber nur
schöne Jahresberichte und fromme Absichtserklärungen, «Greenwashing»
genannt. Doch inzwischen sind aus den vagen Absichten konkrete Pläne
geworden, sagt Retsch – und aus dem Randthema Nachhaltigkeit ganze
Abteilungen, mit dem entsprechenden Bedarf an Mitarbeitern.

Für Studierende sind das gute Nachrichten. Denn bei der Jobsuche
haben sie später freie Auswahl. Matthias Barth weiß von seinen
Absolventen zum Beispiel, dass sie sich zu etwa gleichen Teilen auf
drei ganz verschiedene Gebiete aufteilen: Erstens die Politik
beziehungsweise ihre Beratung, zweitens Unternehmen in der freien
Wirtschaft und drittens Nicht-Regierungsorganisationen aller Art.
Hinzu kommen etwa zehn Prozent, die nach dem Studium in die Forschung
gehen.

Ganz einfach ist die Jobsuche für Experten in Sachen Nachhaltigkeit
aber trotzdem nicht. «Viele Unternehmen wissen gar nicht, was es für
Studiengänge gibt», sagt Retsch. «Sie wissen also nicht, welche
Absolventen da auf den Arbeitsmarkt kommen und welche Kompetenzen sie
haben.» Deshalb passiert es schnell, dass eigentlich spannende
Stellenanzeigen nicht so recht zum eigenen Profil passen. Dem
frischgebackenen Nachhaltigkeits-Bachelor oder -Master hilft da nur,
sich selbstbewusst trotzdem zu bewerben. «Die Erfahrung zeigt, dass
engagierte Studierende, die zum Beispiel Praktika gemacht haben, dann
trotzdem gute Chancen haben», so Retsch.

Um nachhaltig zu arbeiten, muss es aber nicht zwingend ein
spezialisierter Studiengang sein. Viele Studiengänge, Lehrstühle oder
Hochschulen haben sich entsprechenden Prinzipien verschrieben, ohne
sie explizit zu nennen. Zu finden sind solche Lehrangebote zum
Beispiel im Netzwerk Hoch-N mit elf beteiligten Hochschulen und
zahlreichen weiteren Partnern. Oder bei der Initiative Principles for
Responsible Management Education (PRME), die sich eine
nachhaltigkeitsbewusste Ausbildung der Führungskräfte von morgen auf
die Fahnen geschrieben hat.

Zielgruppe sind dabei vor allem Business Schools und
Wirtschafthochschulen, wo dieses Thema sonst eher keine Rolle spielt.
«In der Mainstream-Ausbildung an Business Schools und
Wirtschaftshochschulen ist es oft so, dass Wertfragen ausgespart
werden», erzählt Professor Lutz Schlange von der Hochschule für
Technik und Wirtschaft Chur, Ansprechpartner für PRME in Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Etwa 60 Hochschulen nehmen hier
inzwischen an der Initiative teil.

«Gedacht ist die Initiative auch als Orientierungshilfe», sagt
Schlange – für Studierende, die auf klassisches Management ohne
Nachhaltigkeit keine Lust haben. Denn dafür gibt es gute Gründe, wie
Schlange erklärt: «Den grundlegenden Theorien im Wirtschaftsstudium
fehlt oft etwas der Bezug zur Wirklichkeit.» Ein Fokus auf
Nachhaltigkeit sei die Gelegenheit, das zu korrigieren – und damit
nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. «Nachhaltigkeit ist immer
auch ein Qualitätsbegriff.

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