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Generation Misstrauen: Zweifel an Demokratiekompetenz der Jugend Von Ulrike von Leszczynski

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Das Deutsche Kinderhilfswerk wollte wissen, ob Erwachsene der Jugend
später den Erhalt der Demokratie in Deutschland zutrauen. Am Ergebnis
der Umfrage scheiden sich die Geister.

Berlin (dpa) – Wie steht es um das Vertrauen zwischen den
Generationen in Deutschland, wenn es um grundlegende Werte wie den
Erhalt der Demokratie geht? Das Deutsche Kinderhilfswerk hat für
seinen neuen Kinderreport 2017 nachgefragt und am Donnerstag in
Berlin das Ergebnis präsentiert: Zwei Drittel der Erwachsenen hegen
keine Zweifel, dass die junge Generation später Verantwortung dafür
übernimmt. Einem Drittel fehlt bei dieser Frage das Vertrauen in
Kinder und Jugendliche. Bei der Interpretation dieser Zahlen gehen
die Meinungen auseinander. Und die Gründe für das Misstrauen geben
Rätsel auf.

Thomas Krüger, Präsident des Kinderhilfswerks, nennt das
Umfrageergebnis «besorgniserregend». «Eine Gesellschaft kann kippen,
wenn mehr als 25 Prozent der Menschen den Glauben an etwas
verlieren», sagt er. Auch sei es die Aufgabe der jetzigen
Erwachsenengeneration, die Jugend auf die Verteidigung demokratischer
Werte vorzubereiten. Wenn sie Zweifel an der nächsten Generation
hege, werde es schwierig. Als Vizepräsidentin des Bundestags wertet
Petra Pau (Linke) das Ergebnis als «Alarmsignal»: «Rechtspopulisten
sind auf dem Vormarsch. Das birgt Gefahren für die Demokratie.»

Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht Vertrauenswerte bei zwei
Dritteln der Erwachsenen mit Blick auf den Demokratieerhalt dagegen
als Vertrauensbeweis. «Es ist überraschend, dass dieser Wert so hoch
ist. Ich hätte ihn positiv interpretiert», sagt er. Denn die
Vorurteile der älteren Generation seien sonst enorm. Es gebe in
Deutschland viele Zweifel, ob die junge Generation das Erbe der
bestehenden Gesellschaft fortsetze.

Die Umfrage belegt, dass die jüngeren Erwachsenen zwischen 18 und 44
Jahren die größten Zweifel an der späteren Demokratiefähigkeit der
Jugend haben. Insgesamt haben AfD- und Linken-Sympathiesanten mit
Abstand das geringste Vertrauen. Und Geringverdiener zweifeln mehr
als Gutsituierte. Weitgehende Einigkeit herrscht dagegen bei der
Frage, wer bei der Demokratieerziehung die Hauptverantwortung hat. 90
Prozent sehen sie bei den Eltern, 65 Prozent bei Kita und Schule, ein
guten Zehntel bei Sportvereinen und politischen Parteien.

Nach den Gründen für das Misstrauen gegenüber der Jugend will das
Kinderhilfswerk erst beim nächsten Report fragen. Bis dahin kann
Präsident Krüger nur spekulieren. Er überrascht mit einer These:
Vielleicht liege es gar nicht an der Jugend, sondern an den
Erwachsenen, sagt er.

Ein Monitor für Sachsen-Anhalt zeige zum Beispiel, dass Kinder und
Jugendliche die größten Abwehrkräfte gegen Rechtsextremismus hätten.
Denn viele wüchsen bereits in Schule und Nachbarschaft in einer
heterogenen Gesellschaft auf. Die Problemgruppe mit Blick auf die
Anfälligkeit für rechtsextreme Positionen seien beim Monitor vielmehr
die berufstätigen Erwachsenen. Vielleicht kaprizierten sie ihre
eigenen Zweifel an der Demokratie auf ihre Kinder, mutmaßt Krüger.

Die Jugend selbst ist für den Kinderreport 2017 nicht nach ihrer
Sicht auf die Verteidigung demokratischer Werte gefragt worden. Eine
einleuchtende Erklärung dafür hatten die Macher nicht.

Die Shell-Jugendstudien zeigten, dass die Einstellungen zur
Demokratie als Staatsform bei jungen Leuten wachse, berichtet
Jugendforscher Hurrelmann. Was sinke, sei dagegen das Vertrauen in
Strukturen wie Parlamente und Parteien. «Es ist kein Misstrauen. Aber
auch kein Vertrauen, eher eine Art Entfremdung», ergänzt er.

Junge Leute seien ein ungeduldiges Publikum. In ihren Familien und
digitalen Welten seien sie es gewohnt, Dinge schnell beeinflussen zu
können. «Langwierige Prozesse wie in einer Demokratie leuchten ihnen
nicht ein.» Allerdings zeige sich gerade eine Art Trump-Effekt. Der
Regierungsstil des US-Präsidenten schrecke viele junge Leute ab – und
könne vielleicht sogar als positives Mittel gegen die schleichende
Politikverdrossenheit der Jugend wirken.

An Demokratieakzeptanz und Engagement mangele es Kindern und
Jugendlichen nicht, betont auch Thomas Krüger. Bei den Befragungen
für den Kinderreport wünschten sich fast alle noch mehr Mibestimmung
in der Familie – und in der Schule. «Es geht darum, den Fächerkanon
Politik, Geschichte und Sozialkunde hochzuhalten. Er spielt an Haupt-
Real- und Berufsschulen eine verschwindend geringe Rolle», sagte
Krüger. Politische Bildung müsse auch Thema in Kitas und Grundschulen
werden.

Einigkeit zwischen den Generationen herrscht im Kinderreport beim
Thema Kinderarmut. Die befragten Zehn- bis 17-Jährigen finden, dass
viele Eltern zu wenig verdienen, sich Politiker zu wenig um das Thema
kümmern und alleinerziehende Eltern zu wenig unterstützt werden. Die
Erwachsenen kritisieren zusätzlich, dass sich Armut fortsetzt, weil
betroffene Kinder weniger Chancen auf einen gutes Bildungsabschluss
haben.

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