Der Bund hat mit seinem «Digitalpakt»-Angebot vorgelegt. Die 16
Bundesländer präsentieren heute in Berlin eine gemeinsame Strategie,
um beim computerbasierten Schulunterricht mit der Zeit zu gehen.
Berlin (dpa) – Das digitale Klassenzimmer enthält Laptop, Tablet und
Smartphone, alle Schüler arbeiten am Computer, der Lehrer füttert sie
mit passenden Lernprogrammen und bedient das interaktive Whiteboard.
In vielen deutschen Schulen ist dieses Szenario jedoch eher die
Ausnahme. Bund und Länder wollen das nun ändern – mit möglichst
schnell wirkenden Strategien und Pakten.
Warum besteht ein so großer Handlungsdruck?
Die Vergleichsstudie «International Computer and Information Literacy
Study» (ICILS) deckte es vor zwei Jahren schonungslos auf: Deutsche
Schüler stehen mit ihren Computer-Kompetenzen nicht gut da. Demnach
sind die Jugendlichen zwar im hohen Maße von Smartphones und Laptops
fasziniert, nutzen die Geräte aber selten sinnvoll für die Schule –
Gedaddel statt Recherche. «Ein großer Teil der Schüler begnügt sich
mit sozialen Netzwerken und Computerspielen», sagt der Hamburger
Bildungssenator Ties Rabe. Oberflächlichkeit und Sorglosigkeit im
Umgang mit moderner Informationstechnologie müssten nun durch eine
intensive schulische Vorbereitung auf das Leben in der digitalen Welt
ersetzt werden. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK),
Claudia Bogedan (SPD), warnt: «Es gibt aus meiner Sicht keinen Beruf
mehr, in dem man ohne digitale Medien zurande kommen kann.»
Was planen die für Schulpolitik zuständigen Bundesländer?
Die KMK unternimmt nach Rabes Worten nun den durchaus ambitionierten
Versuch, Schüler und Lehrer in Deutschland für computerbasierten
Unterricht rasch fit zu machen. «Wer nächstes Jahr in die Schule
kommt, soll bis zum Ende seiner Schulzeit eine umfassende
Medienbildung im Rahmen des Unterrichts durchlaufen.» Innerhalb der
nächsten sechs, sieben Jahre sollten «in jeder Schule entsprechende
Konzepte implementiert» werden. Die KMK-Strategie «Bildung in der
digitalen Welt» soll dafür sorgen, dass spannende und lehrreiche
Medien in den Unterricht eingebunden werden, «ohne aber Buch, Heft
und Stift damit zu ersetzen». Ein Alibi-Pflichtfach Informatik lehnt
der Hamburger SPD-Mann Rabe ab – stattdessen sollten digitale Medien
«in jedem Schulfach, in jedem Unterricht zum Einsatz kommen».
Stehen die oft klammen Länder mit ihrem Vorstoß allein da?
Nein, auch der Bund sieht den Bedarf und will bei der digitalen
Ausstattung helfen. Deswegen hatte Bildungsministerin Johanna Wanka
(CDU) kürzlich vorgeschlagen, dass alle rund 40 000 Schulen in
Deutschland mit einem Fünf-Milliarden-Euro-Programm des Bundes quasi
ans Netz genommen werden sollten. Im Gegenzug müssten sich die Länder
verpflichten, pädagogische Konzepte, Aus- und Fortbildung von Lehrern
sowie gemeinsame technische Standards umzusetzen. Diesen Ball nimmt
die KMK nun auf. So erkennt Senator Rabe die Überarbeitung von
Lehrplänen und eine auf das digitale Klassenzimmer vorbereitende
Lehrerfortbildung als Ländersache an. Den komplizierten Bereich der
Technik – die digitale Infrastruktur an den Schulen, aber auch deren
Wartung – müssten die Länder gemeinsam mit dem Bund schultern.
Also eitel Sonnenschein zwischen allen bildungspolitischen Akteuren?
Das werden die wohl im Januar beginnenden Verhandlungen zwischen Bund
und den Ländern zeigen. Ein Problem für die KMK-Seite: Wanka hat den
Start ihres Milliarden-Digitalpakts recht weit weggeschoben – in die
nächste Legislaturperiode, Start wäre dann frühestens 2018. Und sie
hat das Bundesgeld auch noch nicht fest in der Hand. Ihr Hamburger
SPD-Amtskollege Rabe moniert daher, Wankas vermeintliches Geschenk an
die Länder bestehe bisher nur aus Geschenkpapier. Ihr Digitalpakt sei
erstmal «nur eine Ankündigung, sich in einer neuen Regierung als
Ministerin um das Geld zu bewerben». Die KMK dürfte daher bei ihrer
Sitzung an diesem Donnerstag versuchen, den Druck auf den Bund zu
erhöhen – im Sinne von «Butter bei die Fische».
Und wird am Ende wirklich jeder Schüler ein Laptop vor sich haben?
Das wäre ein tolles Konjunkturprogramm für die Computer-Hersteller,
aber auch sehr teuer für den Staat. Es gibt Fürsprecher einer solchen
Vollausstattung mit neuen Laptops oder Tablets für jeden Schüler alle
drei Jahre, aber: «Dann würden wir die fünf Milliarden Euro von Frau
Wanka jedes Jahre brauchen und nicht nur einmalig zum Anschub», sagt
Rabe. Möglich sei stattdessen auch, nach dem Motto «Bring Your own
device» zu verfahren: Praktisch jeder Schüler hat ja einen eigenen
kleinen Computer in der Tasche, und den nutzt er dann unter Anleitung
des Lehrers im Unterricht. Das KMK-Strategiepapier lasse noch offen,
welchen Weg zum digitalen Klassenzimmer die Länder und der Bund am
Ende einschlagen, so Rabe.
Und wie kommen die Lehrer mit der digitalen Revolution klar?
Auch hier müsste noch einiges passieren – die große TIMSS-Studie wies
erst vor wenigen Tagen nach, dass deutsche Lehrer bei der
Weiterbildung für computerbasierten Unterricht im weltweiten
Vergleich Letzter (!) sind. «Wir haben sicherlich keine Mühe, die
ersten 100 000 begeisterten Lehrer zu erreichen – aber es geht ja um
700 000», sagt Rabe. Nach und nach könnten und müssten dann also
immer mehr Pädagogen gefunden werden, um die Digitalstrategien und
-pakte der Bildungspolitiker im Klassenraum auch konkret umzusetzen.