SDS-newsline Onlinezeitung

Der «Muff von 1000 Jahren» wird 50

| Keine Kommentare

Der Tod von Benno Ohnesorg und das Attentat auf Rudi Dutschke – zwei
Daten, die die Studentenproteste prägten. Ein berühmter Spruch, der
auch sinnbildlich für die «68er» steht, wird nun 50. Und wird dort
gefeiert, wo die Studenten den «Muff» der Alten vertreiben wollten.

Hamburg (dpa) – Als Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer am 9.
November 1967 schelmisch grinsend die Treppe im Hamburger Audimax
herunterschreiten, ahnen sie, dass ihnen gerade ein spektakulärer
Coup glückt. Was die beiden Studenten aber nicht wissen können ist,
dass sie mit ihrer Aktion im großen Hörsaal in die bundesdeutsche
Geschichte eingehen werden. Denn der Spruch «Unter den Talaren Muff
von 1000 Jahren», den die beiden damaligen AStA-Vorstände vor den
bloßgestellten Professoren auf einem schwarzen Banner in die Höhe
halten, gilt heute als DER Slogan der 68er-Proteste und der
Studentenbewegung.

«Die Aktion war sicher erforderlich und geeignet, verkrustete
Strukturen in Universität und Gesellschaft aufzubrechen. Sie war
frech, gewaltlos, nicht ohne persönliches Risiko und im besten Sinne
antiautoritär», sagt Behlmer rückblickend laut Uni-Mitteilung.

«Der Spruch brachte einfach alles auf den Punkt», sagt der Leiter der
Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Rainer Nicolaysen. Noch
heute rankten sich aber unterschiedliche Legenden darum, was sich
damals im pickepackevollen Audimax bei der feierlichen Übergabe des
Rektorats genau zugetragen hat. «Es gibt 1700 Plätze im Audimax, aber
ich kenne inzwischen mehr als 1700 Leute, die damals dabei waren.»

Klar ist: Albers, später Bremer SPD-Vorsitzender, und Behlmer, später
Hamburger Staatsrat, hatten ihre Aktion gemeinsam mit Mitstreitern
gut geplant und perfekt umgesetzt. Während die in Talar gekleideten
Professoren zu einer Bach-Ouvertüre in den Saal schreiten, setzen
sich die beiden Studenten vor den Zug und entrollen das zuvor in
Behlmers Sakkotasche versteckte Transparent. Die 350 Studenten im
hinteren Saalteil johlen, die Ehrengäste schweigen betreten. Einer
der Professoren, der Orientalist Bertolt Spuler, ruft den Studenten
wütend entgegen: «Ihr gehört alle ins KZ» – der Skandal ist perfekt.

Für den Spruch ließ sich Behlmer nach eigener Aussage von einem
Graffiti auf dem Campus inspirieren. «Aber die Talare, der Reim und
vor allem – darauf lege ich großen Wert – die 1000 Jahre stammen von
mir», sagte er dem «Hamburger Abendblatt» im Jahr 2008.

Ob die Formulierung von den «1000 Jahren» wirklich eine bewusste
Anspielung auf das «Tausendjährige Reich» war, bezweifelt hingegen
Nicolaysen nach ausgiebiger Quellenforschung. Manchmal trüge einen
auch die Erinnerung. Es sei zu 1968 erstaunlich viel geschrieben,
aber erstaunlich wenig geforscht worden, sagt der Historiker. Behlmer
aber betont, die Anspielung auf die Nazizeit sei von ihm gewollt,
allerdings damals kaum beachtet gewesen.

Aber unstrittig ist: Quasi keine 68er-Deutung kommt heute ohne den
«Muff» aus. Für den Hamburger Protestforscher Wolfgang Kraushaar ist
der «Generalangriff auf die Ordinarienuniversität» ein «Affront
sondergleichen», für Nicolaysen ein Symbol für die Zeitenwende an den
deutschen Unis und die 68er-Bewegung schlechthin.

Zumal auch das Banner, das heute im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrt
wird, ein ganz besonderes ist. Denn den Spruch klebte Behlmer mit
weißen Leukoplaststreifen auf ein Stück Trauerflor, das er von der
Beerdigung des am 2. Juni 1967 in Berlin von einem Polizisten
erschossenen Studenten Benno Ohnesorg aufgehoben hatte.

Es sei darum gegangen, den ersten Toten der Studentenbewegung zu
würdigen, schreibt Kraushaar in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift
«Mittelweg 36». Und dies in Hamburg, das damals anders als Berlin
oder Frankfurt nicht als Hochburg des studentischen Protests galt.

Die «Majestätsbeleidigung» der Ordinarien bleiben für Behlmer und
Albers folgenlos. Denn auch die Presse sei für die Studenten gewesen,
eine Bestrafung wäre folglich nach hinten losgegangen, sagt
Nicolaysen.

Dafür ist an den Unis bald nichts mehr beim Alten. In Hamburg tritt
eineinhalb Jahre später das Universitätsgesetz in Kraft, das als
erstes Hochschulreformgesetz der Bundesrepublik mit den alten
Strukturen bricht. Die Professoren, die zuvor ein strenges Regiment
an der Uni führten, fühlen sich fortan nicht mehr «kurz unter Gott»,
wie Nicolaysen sagt. «Und an den meisten Unis war es danach vorbei
mit den Talaren».

Für die aktuelle Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses
(AStA) der Uni, Franziska Hildebrandt, haben die damaligen Studenten
eine «Basis geschaffen, auf der wir bis heute agieren und leben». Und
das Jubiläum der Aktion könnten die Studenten zum Anlass nehmen, aus
den Kämpfen von früher zu lernen, um sie zu aktualisieren. «Das muss
man wieder neu schaffen, diese treffende Kritik», sagt Hildebrandt.

Und Behlmer? Der hält sich lieber zurück. «Ich habe mir vorgenommen,
neun Jahre nach dem Tod meines Kompagnons keine Interviews mehr zu
dieser gelungenen Aktion zu geben», sagte Behlmer nun der Deutschen
Presse-Agentur. Nur einmal will er anlässlich des Jubiläums auf
Einladung Nicolaysens öffentlich über den Protest reden: am 50.
Jahrestag der Aktion am Donnerstag. Und zwar eben dort, wo er damals
gemeinsam mit seinem 2008 gestorbenen Wegbegleiter Albers Geschichte
geschrieben hat: im Hamburger Audimax.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.