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Jobwahl nach Mangel?

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Vom Altenpfleger bis zum Ingenieur: Glaubt man Studien und Prognosen,
droht in vielen Branchen ein Fachkräftemangel. Eine
Arbeitsplatzgarantie ist das aber nicht, sagen Experten – und warnen
davor, das Phänomen für die Karriereplanung zu nutzen.

Bonn/Nürnberg (dpa/tmn) – «Du willst Germanistik studieren? Damit
wirst du doch höchstens Taxifahrerin» oder «Altenpfleger? Super, da
kannst du dich bestimmt vor Angeboten nicht retten»: Solche oder
ähnliche Sätze bekommen viele angehende Azubis und Studenten zu
hören. Bis zum Ende des Schuljahres sind es zwar noch einige Monate.
Doch vielen jungen Leuten stellt sich schon jetzt die Frage: Wie
mache ich nach der Schule weiter? Und bekomme ich damit einen Job?
Mancher kommt da vielleicht auf die Idee, gezielt in die Branchen zu
gehen, die händeringend Verstärkung suchen.

«Die Frage nach dem Fachkräftemangel spielt bei Jugendlichen schon
eine Rolle», sagt Paul Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit. «Für
junge Leute ist wichtig: Wo lohnt es sich für mich überhaupt, eine
Bewerbung hinzuschicken?»

Wie sich der Arbeitsmarkt in Zukunft verändert, hat das
Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zusammen mit dem Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) untersucht. Laut der Studie
wird es im Jahr 2035 die größte Arbeitskräftelücke in den Pflege- und
Gesundheitsberufen geben, erklärt Klaus Weber vom BIBB. «Ein
deutliches Überangebot an Fachkräften wird dagegen insbesondere für
Büroberufe und im Personalwesen angenommen.»

Jugendliche sollten sich bei der Berufswahl aber nicht auf solche
Hochrechnungen verlassen, sagt Britta Matthes. Sie leitet die
Forschungsgruppe Berufliche Arbeitsmärkte am IAB. Natürlich verändere
sich der Arbeitsmarkt mit der Gesellschaft. Da diese immer älter
wird, braucht man in Zukunft zum Beispiel mehr Pflegekräfte. Dabei
gibt es nur ein Problem: «Diese Arbeitsplätze müssen aber auch
finanziert werden.» Ob sie also wirklich entstehen, ist noch unklar.

Der Bedarf an Arbeitskräften sei wegen solcher Ungewissheiten
praktisch in keiner Branche vorhersehbar: «IT-Berufe sind in Zukunft
sicher zunehmend wichtig, aber daraus kann man nicht schließen, dass
man in einem IT-Beruf vor Arbeitslosigkeit geschützt sein wird.»

Beispiel Digitalisierung: Laut des Fortschrittsberichts 2017 zum
Fachkräftekonzept der Bundesregierung ist damit zu rechnen, dass in
den kommenden 10 bis 20 Jahren ungefähr 12 bis 15 Prozent aller
Tätigkeiten, die heute noch von Menschen ausgeführt werden, durch
Computer erledigt werden können. Das betrifft vor allem Arbeitsplätze
im Einzelhandel, im Papier- und Druckgewerbe sowie in der
öffentlichen Verwaltung. Welche das genau sind, weiß aber noch
niemand: Technischer Fortschritt ist schließlich nicht planbar.

Auch für Klaus Weber geht es bei der Berufswahl um andere Faktoren
als um den Blick in die Kristallkugel. «Als erstes ist es wichtig zu
wissen, wo die eigenen Stärken und Interessen liegen.» Wenn jemand
für eine bestimmte Fachrichtung brennt und das auch vermitteln kann,
sei es einfacher, dort einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Außerdem
steige durch große Motivation die Chance auf einen guten Abschluss.

«Als zweites ist es unverzichtbar, sich über die Inhalte der
angestrebten Ausbildung oder des Studiums zu informieren», sagt
Weber. Das zeige zum Beispiel die Erfahrung mit
Ausbildungsabbrüchen: Nicht selten seien falsche Vorstellungen vom
Arbeitsplatz der Grund dafür.

Wer seinen Beruf nach Mangel wählt, läuft außerdem Gefahr, in einen
sogenannten Schweinezyklus zu geraten. «In den 1960er und 1970er
Jahren herrschte zum Beispiel akuter Lehrermangel, weil die
geburtenstarken Jahrgänge zur Schule kamen und gleichzeitig der
Anteil der Kinder stieg, die auf ein Gymnasium gingen», erklärt
Britta Matthes das Phänomen. «Deshalb entschieden sich damals viele
junge Leute dafür, Lehrer zu werden.» Doch schon Ende der 1970er
Jahre drehte sich das Blatt, und viele Lehrer fanden keine Stelle.

«Heute besteht wieder die Gefahr eines Lehrermangels», sagt Matthes.
Jedoch sei nicht absehbar, ob nach fünf bis sechs Jahren
Lehramtsstudium noch ein Mangel oder schon eine Sättigung auf dem
Lehrerarbeitsmarkt herrschen wird, so die Expertin.

Sie rät angehenden Auszubildenden und Studierenden deshalb, sich zu
fragen: Welche Tätigkeit kann ich engagiert ausführen? Was will ich
individuell erreichen? In dem gewählten Fachbereich könne man sich
dann durchaus an aktuellen Entwicklungen orientieren. «Bei der
Studienwahl kann man zum Beispiel darauf schauen, an welcher
Hochschule das Fach besonders modern gestaltet ist», rät Matthes.

Und wer gerne Germanistik studieren möchte, solle das auch tun – ohne
die Angst, später keinen Job zu finden. «Geisteswissenschaftler wie
Germanisten zählen zu den Generalisten auf dem Arbeitsmarkt.»
Ingenieure könne man dagegen als Spezialisten bezeichnen. «Und der
Arbeitsmarkt braucht in Zukunft weiterhin beides: Generalisten und
Spezialisten.»

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