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Das Wartburgfest – «Initialzündung für die liberale Bewegung»

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Vor 200 Jahren trafen sich in Thüringen rund 500 Burschenschafter und
Professoren, um für eine deutsche Nation einzutreten. Ihre Ideen
waren für damalige Verhältnisse fortschrittlich – und wirken bis
heute nach.

Eisenach (dpa) – Die Wartburg in der Mitte Deutschlands ist ein
Mythos. Martin Luther lebte hier 1521 und 1522 als Junker Jörg und
übersetzte das Neue Testament ins Deutsche. Etwa 300 Jahre später
trafen sich rund 500 Studenten und Professoren auf der Wartburg bei
Eisenach in Thüringen, um ihren Protest gegen Kleinstaaterei und
restaurative Politik auszudrücken. Fragen und Antworten zum
Wartburgfest, das sich am Mittwoch zum 200. Mal jährt.

Warum feierten die Burschenschafter das Wartburgfest?

«Zuerst mal ist das Wartburgfest ein studentisches Fest gewesen»,
sagt Stefan Gerber von der Forschungsstelle für Neuere
Regionalgeschichte Thüringens an der Friedrich-Schiller-Universität
in Jena. Aber es war noch viel mehr: Eine wichtige politische
Komponente kam hinzu.

Deutschland war damals ein Staatenbund mit etlichen Fürstentürmern.
Viele Burschenschafter hatten gegen Napoleons Truppen gekämpft und
nach 1815 die Hoffnung auf eine Neuorganisation Deutschlands: weg von
der Vielstaaterei hin zur Einheit. Ebenso forderten sie eine
Verfassung etwa mit Pressefreiheit – fortschrittliche Ideen für die
damalige Zeit. 1817 habe sich jedoch abgezeichnet, dass die Hoffnung
sich nicht erfüllen werde, sagt Gerber. Deshalb das Wartburgfest.

Welche Rolle spielen Ort und Zeitpunkt des Treffens?

Beides ist symbolisch aufgeladen. Nicht nur, dass Luthers
Veröffentlichung seiner Thesen 300 Jahre zurücklag, das Datum
erinnert auch an die Völkerschlacht bei Leipzig, die genau vier Jahre
zuvor war. Auf der Wartburg hatte Luther zudem die Bibel ins Deutsche
übersetzt. «Man hat die Reformation und das Luthertum
instrumentalisiert für liberal-nationale Forderungen», sagt Gerber.

Wie liberal und fortschrittlich waren die Burschenschafter wirklich?

«Man hatte zwei Strömungen in der Deutschen Burschenschaft», sagt
Dietrich Heither, der mehrere Bücher über Studentenverbindungen,
insbesondere über Burschenschaften, geschrieben hat. Zum einen habe
es weltbürgerliche Kräfte gegeben. Zum anderen habe es eine große
Zahl extremer Nationalisten gegeben. «Es war die Feindschaft gegen
die Franzosen. Es war die Feindschaft gegen Juden. Und es war eine
Deutschland-zuerst-Haltung», sagt Heither. «Deshalb werden bei diesem
Wartburgfest die Bücher verbrannt, die vor einer solchen
Deutschtümelei warnten.»

Gerber betont: «Die große Mehrheit ist im Fahrwasser des gemäßigten
nationalen, frühen Liberalismus unterwegs, der auf eine Verfassung
und auf Rechtsstaatlichkeit aus ist.» Die ganz Radikalen, die
Revolution und Republik anstelle einer Verfassung forderten, seien
eine kleinere Gruppe gewesen.

Welche Auswirkungen hatte das Wartburgfest?

«Es ist die erste deutschlandweite und über Deutschland hinaus
wahrgenommene politische Manifestation im Deutschen Bund», sagt
Gerber. Er nennt das Wartburgfest die «Initialzündung für die
liberale Bewegung». Es folgten 1832 das Hambacher Fest sowie 1848/49
die Märzrevolution, die sich auch gegen Restaurationsbestrebungen
wandten und im Geiste einer nationalen Einheit standen. Kurzfristig
sollten die Karlsbader Beschlüsse von 1819 die liberalen und
nationalen Tendenzen der Burschenschaftler jedoch bekämpfen. Das
Deutsche Reich wird erst 1871 nach dem Sieg der deutschen Staaten im
Deutsch-Französischen Krieg gegründet.

Wie hat sich der Begriff der Nation seither verändert?

Zur Zeit des Wartburgfests sei die Nation in Deutschland über eine
einheitliche Sprache, gemeinsame Kultur und Abstammung definiert
worden, sagt Gerber. In Frankreich habe sich mit der Französischen
Revolution hingegen eine Staatsbürgernation entwickelt mit der
Vorstellung, dass dazugehöre, wer sich politisch zur Nation bekenne.
Heute sei man auch in Deutschland näher an einer Staatsbürgernation.

Wie sieht die aktuelle Situation bei den Burschenschafen aus?

In Deutschland gibt es derzeit drei Dachverbände für
Burschenschaften. Für alle drei spielt das Wartburgfest als
Bezugspunkt eine wichtige Rolle. Die Deutsche Burschenschaft (DB) ist
der größte Verband, musste jedoch schon zwei Abspaltungen hinnehmen,
weil ihr eine zu große Nähe zum rechten Rand nachgesagt wurde. «Wer
in eine solche Verbindung eintritt, weiß genau, worauf er sich
einlässt», sagt Heither. Er sieht in vielen DB-Burschenschaften
solche, die sich «sehr, sehr stark im völkischen Spektrum tummeln».

Die Neue Deutsche Burschenschaft gründete sich 1996. 2016 kam die
Neue Allgemeine Burschenschaft hinzu. Mehrere Burschenschaften, die
nach Angaben des DB-Vorsitzenden Daniel Malsam auch Mitglied des
Dachverbands sind, befinden sich derzeit im Blick des
Verfassungsschutzes.

Im Hamburger Verfassungsschutzbericht heißt es über die Hamburger
Burschenschaft Germania: «Seit vielen Jahren weist die Burschenschaft
eine deutliche Nähe zum Rechtsextremismus auf.» Der
Verfassungsschutzbericht Bayern beschreibt «intensive personelle
Verbindungen» einzelner Mitglieder der Danubia München zur
Identitären Bewegung.

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