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Bildungstrend: Triumph und Tristesse – und ganz viel dazwischen Von Werner Herpell, dpa

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Nicht nur bei PISA-Tests geht es für Deutschland Schritt für Schritt
bergauf. Auch der neue Ländervergleich zu den Schülern der 9. Klassen
zeigt, dass manche Bildungsreformen greifen. Fortschritte gibt es im
Fach Englisch – auch Rechtschreibung ist kein Katastrophengebiet.

Berlin (dpa) – Wenn sich Deutschlands Schüler durch die Bank «in
allen Ländern» verbessern, dann lässt das im Bildungsföderalismus
schon mal aufhorchen. Deshalb hob die Kultusministerkonferenz (KMK)
diesen Erfolg – «enorme Fortschritte» in Englisch bei Neuntklässlern
von Flensburg bis Passau – am Freitag auch gebührend hervor. Doch
woanders sieht es weniger glanzvoll aus im deutschen Bildungssystem.

Wichtige Erkenntnisse aus dem 544-seitigen Report des Berliner
Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB):

MANCHES NEU IM LÄNDERVERGLEICH: Der «IQB-Bildungstrend» liefert
Anlass für Triumphgefühle, Tristesse – und vieles dazwischen. Das
streng leistungsorientierte Bayern bleibt an der Spitze, wird im
Vergleich zur Vorgängerstudie von 2008/2009 aber hier und da von
Sachsen oder Schleswig-Holstein überholt. Diese Länder – CDU-geführt
das eine, rot-grün das andere – sind Aufsteiger des Kompetenztests.
Dramatisch wirkt der Absturz Baden-Württembergs in der Tabelle –
dafür werden von manchen Experten grün-rote Schulexperimente
verantwortlich gemacht. Das große Flächenland Nordrhein-Westfalen
schwächelt weiter, die Stadtstaaten Bremen und Berlin mit vielen
Migrantenkindern tragen immer noch allzu oft die Rote Laterne.

ÜBERRASCHUNGEN – POSITIV UND NEGATIV: Einzelne Ausreißer nach oben im
IQB-Ranking schafften Ost-Länder (Lesekompetenz Deutsch), Saarland
und Rheinland-Pfalz (Rechtschreibung Deutsch), Mecklenburg-Vorpommern
und Hessen (Leseverständnis Englisch) sowie Hamburg (Hörverständnis
Englisch). Dass Sachsen bei der Lesekompetenz im Fach Deutsch so klar
vor den anderen Ländern (und meilenweit vor Schlusslicht Bremen)
rangiert – das war nicht zu erwarten. Ebenso wenig die langen
Minus-Balken für das Land mit dem Wahlspruch «Wir können alles –
außer Hochdeutsch». In Baden-Württemberg ging der Anteil der Schüler,
die in Deutsch bestimmte Standards erreichten, «signifikant zurück».

ERFOLGSERLEBNISSE IN ENGLISCH: Flächendeckend in Deutschland, aber
insbesondere in den Ost-Ländern wurden hier «große Fortschritte im
Vergleich zu 2009 erzielt», hebt die KMK hervor. Auch wenn sich der
Trend in manchem Tabellenranking nicht so deutlich niederschlägt –
dies ist nach gut 25 Jahren der Deutschen Einheit ein pädagogischer
Erfolg. Das schwache Abschneiden der Ost-Schüler in der Fremdsprache
wurde gern auf die unterentwickelte Bedeutung des Englischunterrichts
in der DDR und einen Mangel an guten Lehrern zurückgeführt. Nun weist
IQB-Chefin Prof. Petra Stanat lobend darauf hin, dass Ost-Länder ihre
Englischlehrer zur Weiterbildung nach Kanada schicken. Bundesweit
erreicht ein solider Anteil der Neuntklässler (gut 40 Prozent) ein
Jahr vor dem Mittleren Schulabschluss die gültigen Standards.

RICHTIGE RICHTUNG BEI RECHTSCHREIBUNG: Als positiv heben die
Bildungsminister hervor, dass bundesweit zwei von drei Schülern der
9. Klassen (66 Prozent) Standards in deutscher Orthografie schon ein
Jahr vor dem Mittleren Schulabschluss schaffen. Zwar sei bundesweit
der Anteil kompetenter Schüler im Bereich Rechtschreibung lediglich
«stabil geblieben» – doch einige Länder zeigten hier positive Trends,
etwa Hamburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Der Deutsche
Philologenverband warnt als Gymnasiallehrer-Gewerkschaft vor
Selbstbetrug: Letztlich seien im Bereich Orthografie die Leistungen
«deutschlandweit signifikant (…) schlechter geworden».

NACHHOLBEDARF BEI INTEGRATION: Der beschämend enge Zusammenhang von
sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland ist seit dem
«PISA-Schock» vor 15 Jahren ein Mega-Thema der Schulpolitik. Die KMK
redet nicht drum herum: Es bleibe «eine wichtige Aufgabe», auf diesem
Feld voranzukommen. Bundesministerin Johanna Wanka (CDU) betont: «Die
soziale Herkunft hat noch einen zu großen Einfluss auf den
Kompetenzerwerb.» Immerhin aber seien im Deutsch-Bereich Lesen die
auf sozialen Hintergründen basierenden Unterschiede «signifikant
verringert» worden, steht im IQB-Report. Auch sei im Fach Englisch
die Differenz zwischen Schülern mit und ohne zugewanderte Eltern
kleiner geworden. Alles in allem fühlen sich die meisten Schüler in
ihren Klassen wohl – ob mit oder ohne Migrationshintergrund.

STREITTHEMA SCHULREFORMEN: Baden-Württembergs Bildungs-Flop führt im
Land selbst bereits zu hitzigen Debatten über ein Herumdoktern am
Schulsystem. IQB-Leiterin Stanat sagt, grundsätzlich brächten
Strukturreformen Unruhe ins System. «Man muss schon sehr, sehr gute
Gründe haben, um eine Schulstruktur anzufassen.» Für das «Ländle»
gehe die Tendenz freilich schon längere Zeit nach unten. Deshalb habe
sie große Zweifel, dass die vor Ort so umstrittene Einführung der
Gemeinschaftsschule Hauptgrund für den aktuellen Ranking-Einbruch
ist. Hamburgs SPD-Schulsenator Ties Rabe meinte, es sei schwierig für
Lehrer, sich auf ihren Unterricht zu konzentrieren, wenn ständig die
Schulen umgebaut würden. Auch Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle
(CSU) warb für «Systemkonstanz» – Verlässlichkeit sei sehr wichtig.

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