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«Wir brauchen Schaffer»: Firma vertraut Azubis mit mäßigen Noten Von Wolf von Dewitz

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Mit mäßigen Noten gerade so einen Schulabschluss bekommen und dann
auf Lehrstellensuche gehen? Ein schwieriges Unterfangen – Firmen
wollen doch eher Einserkandidaten in ihren Reihen haben. Oder?

Horb (dpa) – Wie viele Bewerbungen sie geschrieben hat? Die junge
Auszubildende weiß es nicht mehr so genau. Viele, sagt sie. «Es kamen
nur Absagen – oder es gab gar keine Rückmeldung.» Die 20-Jährige
steht im Autohaus Daub in Horb am Neckar unweit von Stuttgart. Mit
lockerem, selbstsicherem Lächeln berichtet sie von damals, als sie
nach der mittleren Reife die Schule abbrach und bei einem
Notenschnitt von «so 3,3 oder 3,4» auf Lehrstellensuche ging. Seit
September ist sie Azubi in dem Autohaus – weil der Firmenchef Noten
für nachrangig hält. «Wir brauchen Schaffer», sagt Unternehmer
Michael Daub. Die 20-Jährige steht daneben und strahlt.

Die junge Frau ist ein Beispiel für den Azubi-Nachwuchs, der immer
wichtiger wird für die deutsche Wirtschaft: Bewerber mit schwachen
Noten. Die Zahl der Anwärter auf Lehrstellen nehme Jahr für Jahr
wegen des demografischen Wandels und des Drangs junger Leute hin zu
Universitäten ab, sagt Arbeitsmarkt-Experte Clemens Wieland von der
Bertelsmann-Stiftung – dementsprechend bessere Karten haben Bewerber,
die in ihrer Schulzeit nicht glänzen konnten.

Christian Rauch, Arbeitsagentur-Chef in Baden-Württemberg, sieht
großes Potenzial in dieser Gruppe junger Menschen. «Auch wenn der
Bewerber auf den ersten Blick nicht der Wunschkandidat war – ihn
anfangs etwas intensiver zu betreuen und zu fördern, zahlt sich auf
lange Sicht für die Unternehmen aus: Häufig bleiben die
Auszubildenden dem Betrieb treu.» Die Arbeitsagentur bietet diverse
Hilfen an, darunter sogenannte Einstiegsqualifizierungen – also vor
allem die Finanzierung von Praktika.

Bertelsmann-Experte Wieland sieht es ähnlich wie Behördenchef Rauch.
«Der Klebeeffekt bei solchen Azubis ist größer», sagt er. «Sie
bleiben nach der Lehre viel häufiger im Betrieb, während der Azubi
mit Abi nach dem Ausbildungsabschluss oft noch auf die Uni will.» Bei
deutschen Firmen findet nach Wielands Einschätzung allmählich
ein Umdenken statt. «Die meisten Unternehmen konnten jahrzehntelang
aus dem Vollen schöpfen, bei der Auswahl ihrer Azubis nur die besten
nehmen – diese Zeiten sind vorbei», sagt der Bertelsmann-Experte.
«Anstatt Bewerber wegen schwächerer Noten sofort abzulehnen, gucken
die Unternehmen inzwischen lieber zweimal hin.»

Bei den Kandidaten aus der zweiten Reihe handelt es sich meistens um
Menschen, die nach der regulären Schulzeit im sogenannten
Übergangssystem gelandet sind – also bei beruflichen Schulen oder in
berufsvorbereitenden Maßnahmen. Böse Zungen sagen, dort würden die
jungen Leute bloß «zwischengeparkt» – einziger Sinn und Zweck dieser
Maßnahmen ist die Vermittlung in Ausbildung und generell in den
Arbeitsmarkt, anerkannte Abschlüsse gibt es nicht.

Auch Neu-Auszubildende hat eine solche Maßnahme besucht, wo sie
Unterricht und Bewerbungshilfen erhalten habe. Von zwölf in der
Maßnahme hätten es bisher nur zwei geschafft. «Ich bin eine davon»,
sagt sie. Sie wolle nach dem Azubi-Abschluss auf jeden Fall bleiben.
«Automobil-Kauffrau ist mein Traumberuf – Studieren wäre nicht so
meins», sagt sie. Der Chef nickt und lächelt.

Neben den beiden steht ein junger Mann, ebenfalls Azubi in dem
Autohaus mit seinen 30 Beschäftigten. Ähnlicher Fall: mäßige
schulische Leistungen, schwierige Lehrstellen-Suche. Seit September
2015 ist er Azubi. «Na klar will ich bleiben», sagt der 21-Jährige
und schiebt etwas schüchtern hinterher: «Wenn es die Möglichkeit
gibt.» Die gibt es – der Firmenchef plant auch nach der Lehre fest
mit ihm, die Nachwuchs-Fachkraft soll langfristig mithelfen bei dem
Ausbau der Geschäfte.

Der Einstieg erfolgte bei beiden über ein halbjähriges Praktikum. Sie
hätten sich als kommunikativ starke, gut motivierte Mitarbeiter
bewiesen, sagt Daub. Und die schwachen Schulnoten? «Die
Rechtschreibung muss ordentlich sein, aber die Noten in Bio oder
Physik sind nicht so relevant – da war ich in meiner Schulzeit früher
auch nicht so der Held», meint der 38-Jährige. Die Mitarbeiter
dürften nicht zimperlich sein, auch bei Regen müsse man mal raus auf
den Parkplatz. «Es bewerben sich auch junge Leute mit guten Noten auf
die Ausbildung, aber die sind oft schlechte Schaffer.»

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