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Wenn Patenschaften wirken – Vom Dorfbrunnen in die Elite-Uni Von Jürgen Bätz

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Hunderttausende Deutsche haben eine Patenschaft für ein Kind in einem
ärmeren Land übernommen. In Afrika haben diese Patenschaften viel
bewirkt. Und das weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit: Sie
haben viele Kinder auf Erfolgskurs gebracht.

Arusha (dpa) – Wenn der Kilimandscharo morgens vom ersten Sonnenlicht
geküsst wird, beginnt an den Ausläufern des Berges im Norden von
Tansania das rege Landleben. In rote Tücher eingehüllte Hirten vom
Volk der Massai treiben ihre Kühe auf die Felder, kleine Kinder hüten
Schafe und Ziegen. An den Dorfbrunnen stehen die Frauen mit ihren
gelben 20-Liter-Kanistern Schlange. Sie balancieren sie auf dem Kopf
nach Hause, sobald sie randvoll sind.

Das King’Ori-Gebiet in der fruchtbaren Ebene zwischen den Städten
Arusha und Moshi im Norden Tansanias ist ein Beispiel für die
nachhaltige Wirkung von Kinderpatenschaften. «Als wir ankamen, haben
die meisten Menschen hier noch sehr arm gelebt, nur wenige Kinder
gingen in die Schule», erklärt Yosh Kasilima, Leiter Einsätze bei
World Vision Tansania. Inzwischen gingen rund 95 Prozent der Kinder
in eine Grundschule. Die Helfer haben dort von 1998 bis 2012 unter
anderem die Trinkwasserversorgung und den Zugang zu medizinischer
Hilfe verbessert, Schulen ausgebaut und Lehrer trainiert.

Hilfsorganisationen nutzen Patenschaften, um Spender in reichen
Ländern langfristig zu binden und damit Kindern in ärmeren Ländern
ein besseres Leben zu ermöglichen. Bei Plan International und World
Vision kostet eine Patenschaft zurzeit rund 30 Euro pro Monat. Das
Geld geht jedoch nicht direkt an die Familie oder das Kind, denn das
könnte in einem Dorf Neid und Zwietracht sähen. Außerdem wäre es
unmöglich, zu kontrollieren, was genau aus den Spenden wird. Deswegen
werde den Dorfgemeinschaften insgesamt geholfen, was nach und nach
eine ganze Region zum Besseren verändere, wirbt Plan.

Um die Zukunftschancen der Kinder zu verbessern, brauche es nicht nur
bessere Infrastruktur, sondern meist auch Überzeugungsarbeit, sagt
Kasilima. «Manche Leute hier denken zum Beispiel, dass die Kinder nur
die Ziegen und die Rinder hüten sollen, und nicht in die Schule
sollen.» Darüber müsse man mit Familien in Tansania immer wieder
sprechen, damit es akzeptiert werde. «Die Kinderpatenschaften sind da
ideal, weil eine langfristige Bindung mit der Gemeinschaft entsteht.»

Für die Hilfsorganisationen hat sich das Modell gut bewährt. Die
regelmäßige Information von Paten und der Austausch von Briefen
verursacht natürlich Verwaltungskosten. Aber wer einmal dabei ist,
überweist jahrelang Monat für Monat – denn wer will schon ein Kind
enttäuschen? In Deutschland betreut die christliche Hilfsorganisation
World Vision knapp 200 000 Patenkinder. Die konfessionslosen Helfer
von Plan International betreuten 2007 noch rund 250 000, inzwischen
sind es 320 000 Patenkinder. Fast die Hälfte davon lebt in Afrika.

«Die Zahl der Kinderpatenschaften steigt sicherlich deshalb, weil
durch den Kontakt zum Patenkind die Hilfe ein Gesicht erhält, sie
wird persönlich», sagt die Geschäftsführerin von Plan International
Deutschland, Maike Röttger. Wenn Paten Interesse haben, können sie
das Kind auch besuchen und sehen, was vor Ort aus ihrer Spende wird.

«Einen Paten zu haben, ist für viele Kinder eine Erfahrung, die ihr
ganzes Leben verändert», sagt der Kenianer George Kamau, ein früheres
Patenkind bei World Vision. Dank der Patenschaft bekam er zum
Beispiel kostenlos Zugang zu medizinischer Versorgung. «Die kleine
Narbe einer Tuberkulose-Impfung auf meiner linken Hand erinnert mich
bis heute daran», sagt der inzwischen 37-Jährige. Sein Pate half auch
mit den Schulgebühren. «In einem Brief forderte mich mein Pate auf,
immer weiter in die Schule zu gehen», erinnert er sich. Das nahm er
sich zu Herzen: Inzwischen ist er stolzer Absolvent der renommierten
britischen Universität London School of Economics.

Natürlich kann es nicht jedes Patenkind auf eine Elite-Uni schaffen.
Das muss auch gar nicht sein. In vielen afrikanischen Ländern ist es
schon ein großer Fortschritt, wenn Patenschaften helfen, Mädchen
länger in der Schule zu halten. «Besser ausgebildete Frauen sind
meist gesünder, beteiligen sich mehr am Arbeitsmarkt, verdienen mehr,
haben weniger Kinder, heiraten später und bieten ihren Kindern
bessere Bildung und Gesundheitsversorgung», so die Weltbank.

Der Erfolg von Patenschaften lässt sich auch im Schatten des
Kilimandscharo im Projektgebiet von World Vision beobachten. Im Dorf
Majengo etwa kniet frühmorgens die 19-jährige Ester Chami im Hof
ihres Elternhauses und backt über einem offenen Feuer Brotfladen für
die Familie. In dem Dorf gibt es kein fließendes Wasser, die Straßen
sind holprige Feldwege, hinter den Häusern stehen Plumpsklos. Doch
das frühere Patenkind Ester hat große Pläne für die Zukunft.

«Ich will als eine der ersten Frauen in Tansania Pilotin werden»,
sagt Ester. Seit Jahren sieht sie über dem Dorf Flugzeuge starten und
landen, die einen nahen Flughafen anfliegen. Aber sie hat noch nie
ein Flugzeug von innen gesehen. «Ich will erstmal Luftfahrttechnik
studieren.» Ihre Eltern haben nicht mal einen Grundschulabschluss,
Ester hat es als erste von sechs Geschwistern auf eine weiterführende
Schule geschafft. Und das in einem Land, in dem laut Unicef zwei
Millionen Kinder im Grundschulalter gar nicht zur Schule gehen und
nur jedes dritte Kind je eine weiterführende Schule besucht.

An Tansanias Universitäten wird Luftfahrttechnik aber nicht
angeboten, wahrscheinlich muss Ester dafür ins Ausland, etwa nach
Kenia. Ob das Geld der Familie dafür reichen wird, ist unsicher.
«Bildung ist teuer, aber Unwissen hat auch Kosten», sagt Ester mit
verschmitztem Lächeln. Nun hofft sie auf ein Stipendium: «Das
Schlimmste wäre es, aufzugeben und es erst gar nicht zu versuchen.»

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