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Vom Jammertal aufs PISA-Hochplateau – und damit Schluss? Von Werner Herpell, dpa

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Das Jammertal liegt hinter der deutschen Bildungspolitik. Jetzt
müssten die Schüler vom «Hochplateau im oberen Mittelfeld» abheben,
spornt die OECD an. Dafür liefert ihre neue Vergleichsstudie indes
kaum Hoffnung.

Berlin (dpa) – Die PISA-Rute kam am Nikolaustag nicht zum Einsatz.
Immerhin sei Nikolaus ja auch Schutzpatron der Schüler, insofern sei
Gnade angebracht, sagte der Berliner OECD-Experte Heino von Meyer am
Dienstag mit einem Schmunzeln bei der Vorstellung von Ergebnissen des
weltweit wichtigsten Schulvergleichstests. Um sogleich
einzuschränken: «Es gibt insgesamt wenig Grund zum Feiern.» Nun muss
die deutsche Bildungspolitik «PISA 2015» werten und gewichten.

Was sagen die aktuellen PISA-Zahlen über Schule in Deutschland aus?

Die rund 10 000 getesteten 15-Jährigen (erweiterte Stichprobe) haben
das Ziel, wie bei «PISA 2012» in allen Bereichen über dem Schnitt der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) zu liegen, eindeutig erreicht. Während in Lesekompetenz das
bisher beste Ergebnis erzielt wurde, ging es in Naturwissenschaften
und Mathematik bergab. Das war aber auch in sehr vielen anderen
OECD-Ländern so. Der Abstand zu den PISA-Spitzenreitern aus Asien,
Kanada und Europa (Estland, Finnland) bleibt groß – Deutschland
gehört jetzt zum oberen Mittelfeld neben Slowenien oder Irland.

Ist das nun gut oder schlecht?

Die Kultusministerkonferenz der 16 Länder (KMK) freut sich, dass ihre
Mädchen und Jungen im OECD-Vergleich gut dabei sind. «Es gibt eine
Stabilisierung auf hohem Niveau, auf die man durchaus stolz sein
kann», so KMK-Präsidentin Claudia Bogedan. Mit Bund-Länder-Projekten
für leistungsstarke Schüler und digitale Klassen lasse sich bald noch
manches bewirken. Die OECD weist indes darauf hin, dass Bremsspuren
im deutschen Bildungssystem nach den reformfreudigen Nuller-Jahren
unübersehbar seien. «Das Land muss seinen Reformstau überwinden. Die
zweite Raketenstufe hat in Deutschland nicht gezündet», sagt
PISA-Chef Andreas Schleicher. Das OECD-Fazit für Deutschland:
«Allenfalls stabil, mit einer leicht rückläufigen Tendenz.»

In welchen Bereichen gibt es eindeutig Verbesserungen?

Beim Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg – diese
Kluft hat sich laut OECD «deutlich abgeschwächt». So habe jeder
Dritte aus besonders stark benachteiligten Milieus hierzulande nun
eine realistische Chance, ins leistungsstärkste Viertel vorzudringen
– vorher war es nur jeder Vierte. Dies zeige, dass sich Anstrengungen
des Schulsystems für soziale Gerechtigkeit lohnen. Auch bei den
Kindern mit Migrationshintergrund verzeichnet die neue PISA-Studie
Fortschritte. «Die positive Entwicklung tendenziell abnehmender
sozialer Benachteiligung und verbesserter Inklusion muss also Ansporn
zu weiteren Anstrengungen sein», sagt OECD-Mann von Meyer. Als
Musterknabe gilt inzwischen Vietnam.

Wo drückt der Schuh auch nach 15 PISA-Jahren noch besonders?

Beim Desinteresse ganz vieler Mädchen für Naturwissenschaften.
Deutsche Schülerinnen sähen das nur als Paukfach, sagt «PISA-Papst»
Schleicher: «Man lernt, um gute Noten zu kriegen. Aber eine Lebens-
oder Karriereperspektive? Fehlanzeige.» In Naturwissenschaften finden
sich daher unter den besten Schülern überdurchschnittlich mehr Jungen
als Mädchen (12,4 zu 8,7 Prozent), bei den schlechtesten ist es
umgekehrt. Wie kürzlich schon die TIMSS-Studie zu Viertklässlern
zeigte, ist Deutschland von einer oft beschworenen Begeisterung der
Mädchen für «MINT-Fächer» weit entfernt. Keine gute Nachricht für den
Wirtschaftsstandort Deutschland, räumt die KMK ein.

Wird Deutschland trotz des Dämpfers PISA-Teilnehmer bleiben?

Davon ist fest auszugehen. Die meisten Bildungsexperten erkennen an,
dass der «PISA-Schock» von 2001 hierzulande viel in Bewegung gebracht
hat. Und dass man nun solide weiterarbeiten muss. Allerdings wird
immer mal wieder über die «Testeritis» im deutschen Schulsystem
gemäkelt – und gern auch gegen die OECD-Megatests gestichelt.
Asiatische Länder mit «konfuzianischer Lerntradition» und Schuldrill
seien nun mal nicht mit europäischen oder amerikanischen Staaten
vergleichbar. Auch gebe die OECD-Methodik Anlass zur Kritik – und die
Fokussierung auf den Nutzwert von Schule für den Arbeitsmarkt. Der
Soziologe und PISA-Gegner Heinz-Dieter Meyer sagte der «Süddeutschen
Zeitung» über die weltweit beachteten (und teilweise gefürchteten)
OECD-Rankings: «Medaillenspiegel kann man bei Olympia machen, aber
nicht für die Schulen. Dafür ist die Materie zu komplex.»

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