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Viele Fälle wie Yagmur – Eine tieftraurige Statistik am «Kindertag»

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30 getötete Kinder im Vorjahr, wieder deutlich mehr als 2014: Es ist
vielleicht nur Zufall, dass diese erschütternde Zahl am «Kindertag»
präsentiert wird. Die Kriminalstatistik zeigt, dass der Schutz
unserer Jüngsten im Alltag tausendfach an Grenzen stößt.

Berlin (dpa) – Die dreijährige Yagmur wurde geprügelt und getreten,
ihr linker Arm brach über dem Ellenbogengelenk. Als Todesursache
verzeichnete der Obduktionsbericht schließlich «innere Blutungen
infolge eines Leberrisses». Die Mutter wurde später zu lebenslanger
Haft verurteilt. Wie es Ende 2013 in Hamburg zu dieser Katastrophe
kommen konnte, versuchte ein Untersuchungsausschuss zu klären. Denn
das Kleinkind war doch seit der Geburt vom Jugendamt betreut worden.

Der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, erwähnt
Yagmur, um der in Berlin präsentierten Polizeistatistik zu den
«kindlichen Gewaltopfern» einen konkreten Namen hinzuzufügen. An
diesem Mittwoch ist Internationaler Kindertag – «eigentlich ein
Anlass zur Freude und zur Fröhlichkeit», sagt er. Doch auch 2015 gab
es wieder 130 Kindstötungen in Deutschland, 22 mehr als im Jahr davor
– darunter 16 Morde und 38 Totschlagsdelikte.

85 getötete Kinder waren jünger als drei Jahre, betont Becker. «Und
das ist eigentlich verwunderlich. Denn wir haben seit Einführung des
Bundeskinderschutzgesetzes, insbesondere in den frühen Hilfen, in die
Unterstützung von Familien mit Kindern unter drei Jahren investiert.
Das ist natürlich eine Schere, die auseinanderklafft.»

Ist also angesichts von Fällen wie Yagmur womöglich viel gut
gemeinter Aktionismus im Spiel, der am Ende wirkungslos verpufft?
Kinder-Lobbyist Becker sieht jedenfalls Nachbesserungsbedarf seitens
der Politik, etwa bei der Evaluation des Kinderschutzes. «Mehr Geld
und Zeit für Qualität» ist nur einer der Punkte seines
Forderungskatalogs.

Für das nüchterne Zahlenmaterial ist in Berlin der Chef des
Bundeskriminalamtes, Holger Münch, zuständig. «Wir werden nicht
nachlassen, die Täter zu schnappen», lautet seine Botschaft. Münch
sagt aber auch, dass die Dunkelziffer jenseits der jährlich bis zu
rund 200 Tötungsdelikte an unter 14-Jährigen sehr hoch ist, etwa bei
Kindesmisshandlungen und Kindesmissbrauch. Gerade im familiären
Umfeld werde solche Gewalt, gerade auch Sexualstraftaten, häufig
verborgen – ob aus Scham oder falscher Solidarität mit Verwandten.

Die Koblenzer Pädagogik-Professorin Kathinka Beckmann bezeichnet
Gewalt gegen Kinder in Deutschland daher als «Alltagsphänomen». Und
nennt drei Zahlen als Beleg: «Drei tote Kinder pro Woche, elf
misshandelte und 38 von sexueller Gewalt geschädigte pro Tag.» Die
insgesamt positive Bewertung gesetzlicher Regelungen durch die
Regierung mag sie daher nicht teilen. «Ein Ausruhen auf den Maßnahmen
des seit vier Jahren umgesetzten Bundeskinderschutzgesetzes ist mit
diesen Zahlen nicht möglich.»

Als «Baustellen» nennt sie eine eklatante Unterversorgung mit
sogenannten Familienhebammen in jedem zweiten Jugendamtsbezirk und
die unzureichende Zahl von Hausbesuchen bei «Gefährdungsmeldungen».
«17 Prozent der als gefährdet eingeschätzten Kinder haben keinerlei
Kontakt mit einem Mitarbeiter des Jugendamtes.» Wenn als Gründe der
Behörden «Kein Dienstwagen vorhanden» oder «Die Anfahrt ist zu lang»
angegeben werde, müsse differenziert werden, sagt Beckmann: Dahinter
steckten oft «strukturelle Defizite» in der Kinder- und Jugendhilfe,
mangelhafte Materialausstattung und eine viel zu dünne Personaldecke.

Die Regionalleiterin des Jugendamtes Berlin-Mitte, Kerstin
Kubisch-Piesk, beklagt ein schlechtes Image: «Das Bild des
Jugendamtes ist das des Kinderwegnehmens», sagt sie – und dass es
doch eher darum gehen müsse, mit der Behörde zusammenzuarbeiten. Wenn
ein Kollege in Berlin aber 80 bis 90 Familien zu betreuen habe, stoße
jedes Bemühen an Grenzen. «Kinderschutz ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den gibt es nicht zum Nulltarif.»

«Das Ideal, dass Kinder ohne Gewalt aufwachsen sollen, ist in der
Bevölkerung angekommen», sagte kürzlich die stellvertretende
Geschäftsführerin beim Deutschen Kinderschutzbund, Cordula
Lasner-Tietze. «Die tatsächliche Realität in den Familien sieht aber
anders aus.» Erschreckenderweise gebe es noch immer «keinerlei
Indizien, dass die Zahl der unter Gewalterfahrungen leidenden Kinder
im Sinken ist». Die Polizeistatistik bestätigt dies nun aufs Neue.

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