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Unvereinbar? – Wie Frauen Kind und Klinik unter einen Hut bekommen

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In deutschen Kliniken sitzen immer noch 90 Prozent Männer in
Führungspositionen. Das hat auch mit den Strukturen zu tun, die alles
andere als familienfreundlich sind. Unmöglich ist die Karriere im
Krankenhaus trotzdem nicht.

Dresden/Fulda/Berlin (dpa/tmn) – Gabriele Schackert war eine
Sensation. Als erste Frau übernahm die Spezialistin für Gehirntumore
einen chirurgischen Lehrstuhl im deutschsprachigen Raum. Das war
1993. 24 Jahre später ist sie immer noch eine Ausnahme. Neun von zehn
Führungspositionen sind an deutschen Kliniken mit Männern besetzt.
Das Paradoxe: Die meisten Absolventen des Medizinstudiums sind
Frauen, seit Jahren. Was also passiert auf dem Weg vom approbierten
Arzt zur Klinikleitung? Scheuen Frauen die Verantwortung? Oder sind
es die Strukturen, die sie von einer Karriere im Krankenhaus
abhalten?

«Die Kultur ist in der Medizin schon noch sehr konservativ», sagt
Christine Kurmeyer, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der
Berliner Charité. Viele Ärzte seien in einem bürgerlichen Umfeld
sozialisiert, wo häufig noch ein traditionelles Familienbild
herrscht. Das sei das eine. Hinzu kommen die Arbeitsbedingungen: Wer
an der Klinik Karriere machen will, kämpft an mindestens zwei
Fronten. 50 oder 60 Stunden auf der Station sind die Regel, sagt
Kurmeyer. Daneben muss, wer eine Professur anstrebt, forschen. «Daher
der Begriff Feierabendforschung.» Zeit für die eigene Familie bleibt
kaum.

So haben in einer aktuellen Umfrage des Marburger Bundes 70 Prozent
der befragten Klinikärzte angegeben, dass ihr Arbeitgeber nicht
genügend für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tut. Zwei
Drittel beklagen, dass sie zu wenig Zeit für ihr Privatleben haben.

Was sie besonders ärgert: Es komme immer mehr Arbeit dazu, die mit
Medizin kaum etwas zu tun hat. Ein Viertel der Befragten gab an, mehr
als drei Stunden täglich Verwaltungsaufgaben zu erledigen. «Das muss
doch nicht sein», sagt Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen
Ärztinnenbundes. Würden diese Tätigkeiten auf andere Arbeitnehmer
übertragen, hätten die Ärzte nicht nur mehr Zeit für ihre Patienten –
der Job würde auch um einiges familienfreundlicher.

«Für viele junge Ärztinnen steht die Familie nun mal an erster
Stelle», sagt Gabriele Schackert, Direktorin der Klinik für
Neurochirurgie am Uniklinikum Dresden. Aus ihrer Sicht zu Recht. «Ich
hätte ebenfalls nicht Karriere auf Kosten meiner Kinder gemacht.»

Was die Krankenhäuser also brauchen, sind Lösungen, die beides
ermöglichen: Familie und Karriere. «Auch Männer fordern Zeit mit
ihren Kindern ja viel stärker ein als früher», sagt Groß. Aus ihrer
Sicht fehlen vor allem intelligente Teilzeitmodelle – und zwar auf
Führungsebene. «Auch eine Oberarzt- oder Chefarztstelle kann man
teilen.» Das ist auch Kurmeyers Erfahrung.

Eine solche Lösung zu finden, kostet allerdings Grips und Zeit. «Dazu
ist leider noch nicht jeder Chef bereit.» Und nicht in jedem
Fachgebiet lassen sich Teilzeitstellen auf Führungsebene so einfach
etablieren, wendet Schackert ein. Wie lange eine Operation
beispielsweise in ihrem Fach, der Neurochirurgie, dauert, weiß vorher
niemand so genau. «Man kann nicht einfach das Skalpell fallen lassen,
wenn man Dienstschluss hat.»

In der Regel müssen Ärztinnen und Ärzte also selbst sehen, wie sie
ihr Familienleben und den Job unter einen Hut bekommen. Schackert und
ihr Mann – ebenfalls Chirurg – hatten neben einem Vormittagskitaplatz
eine Kinderfrau und eine weitere, die diese vertreten konnte.
Außerdem koordinierten die Ärzte ihre Nachtdienste so, dass immer
einer zu Hause war.

Auch Prof. Marion Haubitz, heute Leiterin der Medizinischen Klinik
III am Klinikum Fulda, hat einen organisatorischen Drahtseilakt
hinter sich. «Ich war die erste Ärztin, die jemals in meiner
damaligen Klinik schwanger wurde.» Sie handelte mit ihrem Chef aus,
dass sie während der Oberarztdienste mittags nach Hause gehen konnte.
«In meinem Fach – der Nephrologie – ging das. Es erforderte
allerdings die Bereitschaft, solche Lösungen zu finden.»

Unterstützt wurde Haubitz von der Frauenbeauftragten ihrer Klinik.
Sie half der jungen Ärztin, ein Stipendium für die Habilitation zu
bekommen. «Zeitweise genügte mir dann eine halbe Stelle an der Klinik
und ich musste die Habilitation nicht nachts schreiben.»

Darauf, ob es eine solche Frauenbeauftragte gibt, sollten
ambitionierte Frauen ihrer Ansicht nach achten, wenn sie sich für
eine Klinik entscheiden. Ebenfalls wichtig: wie viele Frauen an der
Klinik schon in Führungspositionen sind. «Daran kann man auch von
außen erkennen, ob es die Bereitschaft gibt, Frauen zu befördern.»

Außerdem rät Haubitz, den Mut zu haben, zeitweise große Teile des
eigenen Gehalts in Haushaltshilfen oder Nannys zu investieren. «Das
fühlt ich erstmal komisch an, zahlt sich am Ende aber aus», ist ihre
Erfahrung. Kinder und die Arbeit – das zu stemmen ist ein riesiges
Projekt. Warum sollte man sich dabei nicht helfen lassen?

Kurmeyer zufolge ist wichtig, sich schon früh klarzumachen, wo man
hinwill. Am besten wenden sich Frauen gleich an die Frauenbeauftragte
oder den Bereich für Personalentwicklung. «Man muss laut und deutlich
sagen, dass man Verantwortung übernehmen und Karriere machen will.»

Neuralgisch sei häufig der Punkt, an dem eine Frau schwanger wird,
sagt Haubitz. Dann gilt: nicht gleich ins Arbeitsverbot drängen
lassen, sondern hartnäckig fragen, welche Aufgaben man übernehmen
kann. Auch in Teilzeitpositionen nach der Rückkehr sei es nicht
nötig, nur noch Hilfstätigkeiten auszuführen. «Es gibt auch kleinere
OPs, die man machen kann», sagt sie. «In meinem Fach können Ärzte in
Teilzeit sogar beispielsweise Dialyseschichten alleinverantwortlich
übernehmen.»

Statt im stillen Kämmerlein vor sich hin zu forschen, ist es außerdem
unerlässlich, sich gut mit anderen zu vernetzen – und dieses Netzwerk
auch zu nutzen. «Viele Frauen scheuen sich, einen Bekannten anzurufen
und zu fragen, ob er einen für eine bestimmte Stelle ins Spiel
bringen kann», sagt Kurmeyer. Oft würden Führungspositionen aber
genau auf diese Weise besetzt.

Wer weiterkommen will, darf sich auf keinen Fall zurückziehen, wenn
es mal nicht so läuft, mahnt Haubitz. Kommt jemand an der Klinik gar
nicht weiter, kann auch ein Wechsel sinnvoll sein: «Wir leiden unter
einem akuten Ärztemangel, das dürfen Frauen ruhig für sich nutzen.»

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