Keiner kennt ihre Gesichter, aber viele haben schon ihre Stimmen
gehört. Synchronsprecher leihen Schauspielern ihre Stimmbänder. Dabei
wird der Begriff Synchronsprecher ihrer Arbeit eigentlich nicht
gerecht: Was sie hinter dem Mikrofon machen, ist schauspielern.
Berlin (dpa/tmn) – Viele Filmfans kennen seine Stimme. Auf der Straße
würden sie aber an ihm vorbeilaufen, ohne sich umzudrehen. Denn
gesehen haben sie ihn auf der Leinwand nicht: Nicolas Böll leiht
anderen Schauspielern seine Stimme. Er ist selbst Schauspieler,
spricht aber auch Synchronrollen. Zum Beispiel hat Böll Ben Affleck
in der deutschen Synchronisation des Hollywood-Films «Good Will
Hunting» gesprochen. Und Joaquin Phoenix als bösen Imperator im
Blockbuster «Gladiator».
Den Begriff des Synchronsprechers lehnt Böll ab. Er und seine
Kollegen seien Schauspieler, stellt er klar. Die Arbeit sei sehr
anspruchsvoll. «Es ist wie Theater auf einem Quadratmeter»,
beschreibt er. Auf kleinem Raum muss Böll vor einem Mikrofon
Emotionen aus sich herausholen. Es gibt keine Kostüme, es fehlen
andere Schauspieler, mit denen Böll wie auf der Bühne interagieren
kann. Vor ihm laufen die Filmszenen auf einem Bildschirm. Neben der
richtigen Tonlage und der passenden Emotion schaut Böll: Wie muss er
sein Sprechen anpassen, um synchron zu den Lippen zu sein? Wann redet
der Schauspieler im Film langsamer, wann atmet er?
Dazu kommt der Zeitfaktor. Synchronsprecher arbeiten mit sogenannten
Takes. Das sind einzelne Szenen, die meist nur aus einem bis zwei
Sätzen oder gar nur Atemgeräuschen bestehen. «Die Zeit pro Take ist
oft knapp», sagt Böll. Er selbst lehnt Rollenangebote ab, bei denen
er mehr als 25 Takes pro Stunde sprechen soll. Dennoch gilt: Die
Situation einer Szene muss er schnell erfassen, die passende Emotion
direkt abrufen.
Synchronsprecher ist kein eigener Beruf mit entsprechender
Ausbildung. Die meisten Sprecher seien gelernte Schauspieler, sagt
Birgit Hartig. Sie leitet in Berlin die Agentur Stimmgerecht. Die
Agentur vermittelt Sprecher in alle Bereiche, von Hörbüchern über
Werbespots und Dokumentationen bis hin zu TV-Serien und Spielfilmen.
Es gebe auch Quereinsteiger aus anderen künstlerischen Bereichen,
sagt Hartig. Oft kommen diese aus der Musik und haben schon mit ihrer
Stimme gearbeitet. Eine andere Gruppe seien die «Synchron-Kinder».
Sie sprechen im Alter von fünf bis sieben Jahren ihre ersten Rollen
für Kinderserien ein und wachsen in das Geschäft hinein. Um
einzusteigen, sei die gängigste Methode aber folgende: eine
Schauspielschule besuchen, dann Theater spielen, Bühnenerfahrung
sammeln und nebenbei erste Synchronerfahrungen machen.
Wenn man mit Leitern von Schauspielschulen spricht, sagen diese immer
wieder, dass Schauspieler sich mehrere Standbeine suchen sollten. Sie
müssen breit aufgestellt sein, erklärt zum Beispiel Norbert Ghafouri,
der die Filmschauspielschule Berlin leitet. Über Deutschland
verteilt, gibt es ein gutes Dutzend staatliche und eine Vielzahl an
privaten Schauspielschulen.
Auch Nicolas Böll hat eine Schauspielschule besucht, in
Theaterstücken und Musicals mitgespielt. Irgendwann hat er auch
synchronisiert. Er erzählt, dass unter Schauspielern das
Synchronisieren oft keinen guten Ruf hat: «Gerade junge Kollegen
sehen es fast als Scheitern, wenn man synchronisiert.» Dabei sei es
eine Herausforderung, einem Kollegen seine Stimme und seine Emotionen
zu leihen. Böll steht, läuft am Ort oder verrenkt seinen Körper um
vor dem Mikro die richtige Tonlage zu treffen. Der Raum, in dem sich
Böll beim Synchronisieren bewegen darf, ist klein. Schließlich muss
der Tonmeister im Studio seine Stimme bestmöglich einfangen – dafür
darf er nicht zu weit vom Mikrofon weg sein.
Der Einstieg ins Synchronisieren ist beschwerlich. Böll rät zunächst
dazu, in Studios Hospitationen zu machen. Dabei können Anfänger
Kontakte knüpfen und Hörproben abgeben. Bis man seine ersten Aufträge
bekommt, müssen Schauspieler in der Regel oft vorsprechen. «Das ist
nicht leicht, denn man muss sich gewissermaßen als Produkt
anpreisen», sagt Böll, der vor einigen Jahren den Interessenverband
Synchronschauspieler mitbegründet hat.
Allein vom Synchronsprechen können nur wenige leben. Hartig schätzt,
dass vielleicht jeder Fünfte nur mit Synchronsprechen sein Einkommen
bestreiten kann. Dieser Anteil steige ein wenig, wenn man noch jene
Sprecher dazu zählt, die zusätzlich Regie im Aufnahmestudio führen
oder Bücher für Synchronaufnahmen schreiben.
Die Bezahlung von Synchronsprechern besteht aus zwei Elementen. Sie
erhalten jeden Tag ein Antrittsgeld. Das beträgt oft 50 bis 60 Euro.
Dann bekommen sie noch Geld pro Take. Das sind in der Regel drei Euro
als Minimum – nach oben sind die Grenzen offen und eine Frage
geschickten Verhandelns. Man könne gut verdienen, sagt Böll. «Aber
reich werden, das wird man in dieser Branche nicht.»
Auch die Arbeitszeiten sind unstet: Meist ist Flexibilität gefragt.
Die Disponenten der Studios planen oft kurzfristig. «Meist wissen
Synchronsprecher erst abends, wann sie am nächsten Tag arbeiten
müssen», erklärt Hartig und ergänzt: «Sie müssen eigentlich rund um
die Uhr sprechen können.»