Zum Stöbern, Anschauen und Mitnehmen: Wer Lesestoff sucht, findet ihn
in vielen Fußgängerzonen gratis in einem Regal. Die Rückgabe der
Bücher ist freiwillig. Klappt das – oder wird das Angebot ausgenutzt?
Mannheim (dpa) – Leicht zugänglich, stets geöffnet, keine
Rückgabepflicht: Mit öffentlichen Bücherschränken wollen immer mehr
Kommunen auf Straßen und Plätzen die Leselust wecken. «Jeder kommt,
wann er will – an den Regalen ist immer etwas los», sagt Cornelia
Holsten, Initiatorin der Karlsruher Buchhaltestelle. Das
Umsonst-Angebot schaffe Gemeinschaft, betont auch Martina Schickle
von der Stadtverwaltung in Freiburg. «Bücherschränke sind einfach zu
nutzen und fördern Kommunikation.» Viele Städte begeistern sich
inzwischen für die Idee.
Öffentliche Bücherregale gibt es bundesweit – etwa in Berlin und
Hannover, aber ebenfalls in Darmstadt, Erlangen oder Halle. Ein
Beispiel ist auch Heidelberg: Im Stadtteil Handschuhsheim wird ein
massiver Stahlschrank mit Dutzenden Büchern seit Dezember 2016
besucht. Ob Werke von Heinz G. Konsalik, Utta Danella, Janosch oder
Karl May – für nahezu jeden dürfte etwas dabei sein.
Birgit Alt schmökert im Kriminalroman «Der Feind in mir» von Kevin
O’Brien. «Genau dieses Buch wollte ich schon lange lesen. Nun muss
ich nicht in die Bibliothek», sagt die 47-Jährige. Dabei sei sie eher
zufällig vorbeigekommen. Die Straßenbücherei ist ein Projekt der
Zukunftswerkstatt Handschuhsheim (ZWS), die das Regal auch betreut.
Die Kosten von 7000 Euro für die Einrichtung trugen die Stadt und die
Bürgerstiftung Heidelberg sowie die ZWS mit Spenden. Viele stellen
gut erhaltene Bücher, die sie nicht mehr möchten, in die Regale. Die
Schränke funktionieren nach dem Prinzip Geben und Nehmen.
«Ich war skeptisch, als das hier eingeweiht wurde», sagt Rentner
Wilhelm Grubba in der Heidelberger Neugasse. Dort stellte die
Bürgerstiftung bereits 2010 ihr erstes Bücherregal auf. «Ich hatte
Sorge, dass das Regal von Vandalen zerstört oder bei schlechtem
Wetter zur Dreck-Ecke wird», sagt der 74-Jährige. Die Befürchtungen
haben sich nicht bewahrheitet. Zwar liegt ab und zu eine zerfledderte
Zeitschrift am Regal. «Aber das kommt eher selten vor», sagt Grubba.
Auch in Karlsruhe kam es bisher zu keinem Zwischenfall. «Ich denke,
es herrscht in der Bevölkerung immer noch großer Respekt vor Büchern
und vor der Leistung des Autors», sagt Initiatorin Holsten. Sie
bekomme viele Bücher aus Haushaltsauflösungen. «Ältere Leute gehen
ins Seniorenheim und geben uns ihre Bücher. Sie würden sonst wohl im
Altpapier landen. Antiquariate picken sich nur die Rosinen raus.»
Als Konkurrenz zu Bibliotheken sieht Holsten die Regale nicht. «Im
Gegenteil. Das unbürokratische Angebot ist für viele eine Hinführung
zum Buch. Auch junge Menschen greifen zu, denn so sparen sie Geld.»
Kinder sind oft begeistert. In Tübingen kommen Lena und Lisa auf dem
Weg von der Schule regelmäßig an der Büchersäule vorbei. Am nächsten
Morgen brächten sie oft als Ersatz ein eigenes altes Buch mit,
erzählen die 12 Jahre alten Freundinnen. Die Studentin Alex ist
hingegen skeptisch. «Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Die meisten
Leute sind heutzutage von der Konsumgesellschaft verdorben und wollen
immer nur haben, haben.»
Betreiber von Buchläden nehmen das Angebot meist gelassen. «Die
Regale bieten ein zufällig zusammengestelltes Sortiment älterer
Werke. Wer ein bestimmtes neues Buch sucht, kommt weiterhin zu uns»,
sagt die Angestellte eines Geschäfts in Mannheim. Auch in der
Industriestadt am Rhein wird «Literatur to go» angeboten.
Immer wieder tauchen Berichte auf, dass Bücher aus Regalen genommen
und gegen Bezahlung im Internet oder auf Flohmärkten angeboten
werden. «Mir sind keine schlechten Erfahrungen bekannt», sagt Sabine
Schmincke von der Stadtverwaltung in Tübingen. Auch sie sieht das
Gratisangebot nicht als Konkurrenz. «In Bibliotheken gibt es eine
gezielte Auswahl, das Angebot orientiert sich am Bedarf und es findet
eine qualifizierte Beratung statt. All das können Bücherschränke
nicht bieten.»
Unerwünscht sind fast überall Zeitungen sowie Ladenhüter – zum
Beispiel überalterte Fachbücher wie «Windows 95». Regelmäßig misten
die Betreiber daher die Regale aus. Der bunte Blickfang soll
schließlich nicht zur Müllhalde werden.