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Rückenwind für Überflieger an Deutschlands Schulen Von Werner Herpell und Kim Alexander Zickenheiner, dpa

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«Eliteförderung» galt im deutschen Bildungssystem lange Zeit als
Schimpfwort. Jetzt geben der Bund und die Länder mehr als 100
Millionen Euro aus, um den Top-Schülern besser auf die Sprünge zu
helfen.

Berlin (dpa) – Geht das deutsche Bildungssystem gut genug mit seinen
Spitzenschülern um? Hochbegabt (IQ 130 plus x) ist gerade Mal jeder
50. Schüler. Bezogen auf die gut 720 000 Erstklässler dieses Jahres
ist das beispielsweise lediglich eine niedrige fünfstellige Zahl. Als
«leistungsstark» gelten zwar mehr – aber sie alle wollen auch
gefördert werden.

Dafür wird nun – nach vielen Absichtserklärungen – eine Menge Geld in
die Hand genommen. 125 Millionen Euro für zehn Jahre wollen sich Bund
und Länder ihre «Initiative zur Förderung leistungsstarker
Schülerinnen und Schüler» zu gleichen Teilen kosten lassen.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und die Präsidentin der
Kultusministerkonferenz (KMK), Bremens Senatorin Claudia Bogedan
(SPD), haben die Grundzüge am Montag in Berlin verkündet.

300 Schulen in ganz Deutschland sollen fünf Jahre lang Strategien
testen, um die Spitzenschüler voranzubringen. Los geht es im
Schuljahr 2017/18. Also wieder Pilotprojekte und punktuelle
Förderung? Nein, sagt Bogedan. «Tatsächlich geht es uns darum,
Modelle zu entwickeln, die nicht nur Leuchtturm-Charakter haben.»
Nach fünf Jahren wird ausgewertet – und die Erfolgsrezepte auf andere
Schulen übertragen. Es geht nicht nur um Gymnasien, sondern um Grund-
und weiterführende Schulen, Fokus auf die Klassen 1 bis 10.

«Elite» – dieses Wort besitzt für viele im Zusammenhang mit Bildung
einen negativen Beigeschmack. «Wir haben ein Problem – in Wort und
Tat – mit der Eliteförderung. Damit tun wir uns sehr schwer»,
bedauert der renommierte Bildungsforscher Prof. Wilfried Bos. Er
betreut an der Technischen Universität Dortmund die internationale
TIMSS-Studie, deren aktuelle Ergebnisse für Viertklässler in
Mathematik und Naturwissenschaften an diesem Dienstag (29.11.)
vorgelegt werden.

Das zeitliche Zusammentreffen ist Zufall, passt aber in die
bildungspolitische Landschaft. Denn die TIMSS-Tests hatten sowohl
2007 als auch 2011 nachgewiesen, dass es hierzulande im
internationalen Vergleich kaum Spitzenschüler gibt: fünf bis sieben
Prozent im obersten Leistungsbereich. Echte Begabtenförderung sei
leider bisher immer Ankündigung geblieben, sagt Bos. «Wir versündigen
uns damit an diesen Kindern, wir schöpfen ihre Potenziale nicht aus.»

«Dass wir da zu wenig tun, hat sich im Laufe der Jahre gezeigt»,
gesteht Wanka ein. Das spiele nicht zuletzt auch eine Rolle für die
Wirtschaft: «Wir sind darauf angewiesen als Nation, dass wir über
Innovation und Entdeckerfreude Wohlstand generieren.» Und dazu solle
sich das Denken in den Schulen ändern: Sie müssten dafür sorgen, dass
die Förderung von Leistungsstärken möglich wird – und sollen dafür an
«Struktur und Kultur» arbeiten.

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter
Meidinger, sieht das gut dotierte Projekt als großen Fortschritt.
«Man hat sich bisher, teilweise mit guten Gründen, auf die Gruppe der
Leistungsschwächeren konzentriert», sagt er. «Obwohl ja bereits alle
Studien gezeigt hatten, dass Deutschland ein Problem in der unteren
Kompetenzstufe hat, aber eben auch in den höheren Stufen.»

Der geplante Förderbetrag von 125 Millionen – «das ist schon etwas»,
lobt Meidinger. Der Fokus liegt auf den Hauptfächern: Deutsch,
Mathematik, Naturwissenschaften, Fremdsprachen. Meidinger plädiert
dafür, auch Musik, Kunst, Sport und Gesellschaftswissenschaften in
die Begabtenförderung einzubeziehen. Der Chef der
Bildungsgewerkschaft warnt zudem davor, sich auf reine
Hochbegabtenklassen und Eliteschulen zu konzentrieren. «Deren Effekt
wird überschätzt.»

Meidinger verweist auf die Langzeitstudie PULSS (Projekt für die
Untersuchung des Lernens in der Sekundarstufe), die den Wert einer
isolierten Hochbegabtenförderung kürzlich relativiert hatte. Die
SPD-Kultusminister um Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe fühlten sich
dadurch in ihrem integrativen Ansatz bestätigt. «Begabtenförderung
muss zur Regelaufgabe in jeder Schule und in jeder einzelnen Klasse
werden», sagte Rabe der dpa. Gesonderte Klassen «bergen die Gefahr,
dass die Begabtenförderung in den Regelklassen unterbleibt».

Unionsgeführte Kultusministerien sehen das teilweise anders. Ohnehin
wähnen sich CDU und CSU als die eigentlichen Entdecker und Verfechter
von Eliteförderung an den Schulen. «Aus Sicht der unionsgeführten
Länder ist Begabtenförderung sozialgerecht», sagt Bayerns
langjähriger CSU-Bildungsminister Ludwig Spaenle.

Wie das Zehn-Jahres-Projekt konkret umgesetzt wird, liegt zum großen
Teil in der Hand der einzelnen Bundesländer. «Ich bin für
Methodenvielfalt», gibt sich die Bundesbildungsministerin
diplomatisch.

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