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Rückenwind für Überflieger an Deutschlands Schulen Von Werner Herpell, dpa

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«Eliteförderung» galt im deutschen Bildungssystem lange Zeit als
Schimpfwort. Jetzt geben der Bund und die Länder über 100 Millionen
Euro aus, um «kleinen Einsteins» besser auf die Sprünge zu helfen.

Berlin (dpa) – Eigentlich geht es nur um jeden 50. Schüler. Bezogen
auf die gut 720 000 Erstklässler dieses Jahres gilt beispielsweise
lediglich eine niedrige fünfstellige Zahl als hochbegabt (IQ 130 plus
x). Und doch steckt viel mehr dahinter. Nämlich die Frage, ob das
deutsche Schulsystem gut genug mit seiner Leistungsspitze umgeht. Ob
die 16 Länder nicht nur Problemschüler auf ein höheres Level führen,
sondern auch Überflieger angemessen fördern können.

Dafür wird nun – nach vielen Absichtserklärungen – eine Menge Geld in
die Hand genommen. 125 Millionen Euro für zehn Jahre wollen sich Bund
und Länder ihre «Initiative zur Förderung leistungsstarker
Schülerinnen und Schüler» kosten lassen. An diesem Montag stellen
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und die Präsidentin der
Kultusministerkonferenz (KMK), Bremens Senatorin Claudia Bogedan
(SPD), Grundzüge ihres Eliteprojekts vor. Ein Paradigmenwechsel
kündigt sich an.

«Elite» – dieses Wort besitzt für viele im Zusammenhang mit Bildung
einen negativen Beigeschmack. «Wir haben ein Problem – in Wort und
Tat – mit der Eliteförderung. Damit tun wir uns sehr schwer»,
bedauert der renommierte Bildungsforscher Prof. Wilfried Bos im
Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Er betreut an der
Technischen Universität Dortmund die internationale TIMSS-Studie,
deren aktuelle Ergebnisse für Viertklässler in Mathematik und
Naturwissenschaften an diesem Dienstag (29.11.) vorgelegt werden.

Das zeitliche Zusammentreffen von Hochbegabten-Initiative und neuen
TIMSS-Ergebnissen ist Zufall, passt aber in die bildungspolitische
Landschaft. Denn die TIMSS-Tests hatten sowohl 2007 als auch 2011
nachgewiesen, dass es hierzulande im internationalen Vergleich kaum
Spitzenschüler gibt. Ein solides Leistungsmittelfeld immerhin, aber
mit fünf bis sieben Prozent «zu wenige Schüler im obersten
Leistungsbereich», sagt Bos. Echte Begabtenförderung sei leider
bisher immer Ankündigung geblieben. «Wir versündigen uns damit an
diesen Kindern, wir schöpfen ihre Potenziale nicht aus.»

Auch der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter
Meidinger, sieht das gut dotierte Hochbegabten-Projekt von Bund und
Ländern als großen Fortschritt. «Man hat sich bisher, teilweise mit
guten Gründen, auf die Gruppe der Leistungsschwächeren konzentriert»,
sagt er im dpa-Gespräch. «Obwohl ja bereits alle Studien gezeigt
hatten, dass Deutschland ein Problem in der unteren Kompetenzstufe
hat, aber eben auch in den höheren Stufen.»

Der geplante Förderbetrag von über 100 Millionen für rund 300
Modellschulen – «das ist schon etwas», lobt Meidinger. Er plädiert
dafür, neben MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft,
Technik) und den Sprachen auch Musik, Kunst, Sport und
Gesellschaftswissenschaften in die Begabtenförderung einzubeziehen.
Der Chef der Bildungsgewerkschaft warnt zudem davor, sich auf reine
Hochbegabtenklassen und Eliteschulen zu konzentrieren. «Deren Effekt
wird überschätzt. Kompetenzgewinne sind meist relativ unabhängig
davon, ob ein Hochbegabter in einer speziellen Hochbegabtenklasse
sitzt oder in einem ganz normalen Unterricht.» Letztlich komme es auf
die individuelle Zuwendung durch Lehrer und Schule an.

Meidinger verweist auf die Langzeitstudie PULSS (Projekt für die
Untersuchung des Lernens in der Sekundarstufe), die den Wert einer
isolierten Hochbegabtenförderung kürzlich relativiert hatte. Die
SPD-Kultusminister um Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe fühlten sich
dadurch in ihrem integrativen Ansatz bestätigt. «Begabtenförderung
muss zur Regelaufgabe in jeder Schule und in jeder einzelnen Klasse
werden», sagte Rabe der dpa. Gesonderte Klassen «bergen die Gefahr,
dass die Begabtenförderung in den Regelklassen unterbleibt».

Unionsgeführte Kultusministerien sehen das teilweise anders. Ohnehin
wähnen sich CDU und CSU als die eigentlichen Entdecker und Verfechter
von Eliteförderung an den Schulen. Immerhin: Im Juni 2015 beschloss
die KMK eine gemeinsame Strategie, um sich mit Verve um besonders
leistungsstarke Schüler zu kümmern. Bei der Präsentation der
125-Millionen-Euro-Initiative am Montag werden neben Wanka (Bund) und
Bogedan (KMK) denn auch SPD-Mann Rabe und Bayerns langjähriger
CSU-Bildungsminister Ludwig Spaenle auf dem Podium sitzen – diesen
Erfolg will sich keiner entgehen lassen. Dann sollte auch bald klar
werden, wie es konkret für die «kleinen Einsteins» weitergeht.

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