Ist das Glas nun halb leer oder halb voll? Fakt ist: Die Zahl der
neuen Ausbildungsverträge sinkt, während das Angebot an Lehrstellen
eigentlich wächst. Tausende Bewerber bleiben am Ende unversorgt.
Berlin (dpa) – Die duale Ausbildung in Deutschland, also die
klassische Lehre im Zusammenspiel von Betrieben und Berufsschulen,
schwächelt seit Jahren. Der Berufsbildungsbericht 2016 – an diesem
Mittwoch Thema im Bundeskabinett – legt erneut Problemzonen offen,
zieht aber insgesamt eine positive Bilanz. Der Report des
Bundesbildungsministeriums (BMBF) lag am Dienstag der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin vorab vor. Wesentliche Zahlen, Fakten und
Trends – und einige Schlussfolgerungen:
AUSBILDUNGSVERTRÄGE: Die Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge
mit Stichtag 30. September (Ende des Ausbildungsjahres) sank im
Vergleich zu 2014 erneut leicht auf gut 522 000 (minus 0,2 Prozent).
Das Statistische Bundesamt hatte vor zwei Wochen ebenfalls ein
Rekordtief gemeldet – gleicher Trend, leicht abweichende Zahlen:
Demnach starteten in Deutschland noch nie so wenige Menschen in eine
duale Ausbildung wie 2015 – mit 516 000 waren es noch einmal 0,4
Prozent weniger als im Jahr davor (Stichtag 31. Dezember).
LEHRSTELLENANGEBOT: Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren rund
520 000 Ausbildungsplätze gemeldet, 8400 oder 1,6 Prozent mehr als im
Vorjahreszeitraum. Es blieben aber auch viele Lehrstellen unbesetzt –
mit rund 41 000 (plus 10,4 Prozent) wurde hier der höchste Stand seit
1996 verzeichnet. Der Grund: zunehmende Besetzungsprobleme der
Betriebe und «Passungsprobleme» des Lehrstellenmarkts. Soll heißen:
Angebot und Nachfrage finden oft nicht zusammen, trotz freier Stellen
bleiben oft unterqualifizierte Bewerber ohne Ausbildungsplatz.
«UNVERSORGTE»: Ihre Zahl war voriges Jahr immerhin leicht rückläufig
auf rund 20 700 (minus 0,8 Prozent). Gesunken ist auch die Zahl der
«Altbewerber» bei der BA, zuletzt gut 185 000 (minus 0,9 Prozent).
«In der Gesamtschau hat sich damit die Angebots-Nachfrage-Relation im
Jahr 2015 weiter auf 103,7 (2014: 103,0; 2013; 102,3) verbessert»,
heißt es in dem Bericht. «Dies ist der beste Wert seit 1995.» Die
schlechteste Relation sei 2006 mit 94,6 verzeichnet worden.
LEHRBETRIEBE: Diese Quote geht stetig zurück – nach den im Bericht
genannten jüngsten Zahlen betätigte sich 2014 nur noch jede fünfte
Firma als Ausbilder (20,3 Prozent, nach 20,7 Prozent ein Jahr davor).
Das Minus sei «fast ausschließlich auf Kleinstbetriebe»
zurückzuführen, heißt es im BMBF. Die Ausbildungsquote, also der
Anteil der Lehrlinge an den Beschäftigten, liege «bei den kleineren
und mittleren Unternehmen mit 5,5 Prozent jedoch immer noch deutlich
vor der der Großbetriebe mit 4,6 Prozent».
AZUBI MIT ABITUR: Zwar liegt seit 2013 die Zahl der Studienanfänger
höher als die der jungen Leute, die in eine duale Ausbildung starten.
Dem Berufsbildungsbericht zufolge gehen aber auch mehr junge Menschen
mit «Hochschulzugangsberechtigung» in eine Lehre: Der Anteil der
Studienberechtigten mit neuem Ausbildungsvertrag stieg in den
vergangenen Jahren von 20,3 Prozent (2009) auf 26,2 Prozent (2014).
JUNGE AUSLÄNDER: Auch weiterhin beginnt nicht einmal jeder dritte
ausländische Jugendliche eine Lehre. Deren «Ausbildungsanfängerquote»
verschlechterte sich 2014 auf 31,1 Prozent (2013: 31,7 Prozent). Zum
Vergleich: Bei Deutschen liegt die Quote über 56 Prozent.
FLÜCHTLINGE: Der hohe Anteil potenziell ausbildungswilliger junger
Menschen mit Bleibeperspektive sei «eine besondere Herausforderung,
aber auch Chance für Deutschland», betont der BMBF-Report. «Dies
spiegelt sich auf dem Ausbildungsmarkt 2015 noch nicht unmittelbar
wider, da zurzeit die Asylverfahren und die Sprach- und
Integrationskurse für die Geflüchteten im Vordergrund stehen.» Auf
steigende Nachfrage müsse sich das duale System frühzeitig
einstellen, weil «rund 50 Prozent der Geflüchteten junge Menschen
unter 25 Jahren sind». Ab 2017 könne dies «die Engpässe verschärfen,
wenn hier nicht rechtzeitig gegengesteuert wird», warnt der DGB.
SCHWERPUNKTSETZUNG: Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) will die
Attraktivität von Ausbildung erhöhen – eines ihrer Hauptanliegen für
dieses Jahr. «Dafür ist es zentral, junge Menschen bereits in der 7.
und 8. Klasse zu erreichen und sie über die Vorteile einer dualen
Ausbildung aufzuklären.» Zudem wolle sie «die Durchlässigkeit
zwischen dualer und akademischer Ausbildung in beide Richtungen
stärken»: So sollen Studienabbrecher sich öfter für Lehrstellen
interessieren – sie müssten ja «auch nicht wieder bei Null anfangen»,
so Wanka. Ferner verweist die Ministerin auf das neue Meister-Bafög.
KRITIK: Der DGB sieht im Bericht manche Schönfärberei. Während 41 000
Lehrstellen unbesetzt blieben, suchten fast 81 000 Bewerber noch
einen Platz. «Rechnerisch hätte somit jede offenen Stelle fast
zweimal besetzt werden können.» DGB-Vize Elke Hannack: «Der
Azubi-Mangel in einigen Branchen ist hausgemacht. Dies betrifft vor
allem die Hotel- und Gastronomiebranche sowie einige Handwerksberufe.
Wenn junge Menschen als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden,
bewerben sie sich in diesen Unternehmen nicht mehr.»