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Mehr als ein Pikser – Vater setzt Impfung der Tochter gegen Ex durch Von Anja Semmelroch

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Eltern können frei wählen, ob sie ihre Kinder wie empfohlen impfen
lassen oder nicht. Was aber, wenn die Mutter Impfgegner und der Vater
-befürworter ist? Der BGH hat bei der Entscheidung das Kind im Blick.

Karlsruhe (dpa) – Der Streit um die gemeinsame Tochter zieht sich
schon Jahre – soll die Kleine, inzwischen fast fünf, wie empfohlen
geimpft werden oder nicht? In den anderen Fragen haben sich Mutter
und Vater nach der Trennung zusammengerauft. Aber hier liegen die
Positionen unversöhnlich weit auseinander: Er will die Tochter impfen
lassen. Sie hat Angst vor den Risiken und traut den Ärzten und der
Pharmaindustrie nicht über den Weg. Jetzt hatte der Bundesgerichtshof
(BGH) das letzte Wort. Die am Dienstag veröffentlichte Entscheidung
(Az. XII ZB 157/16) macht es Impfgegnern in Zukunft schwerer.

Warum kann die Mutter nicht allein entscheiden?

Das Mädchen lebt zwar bei ihr. Obwohl die Eltern nicht verheiratet
waren, teilt sich die Frau aber mit ihrem Ex-Freund das Sorgerecht.
Das kommt inzwischen immer häufiger vor. Denn seit einer
Gesetzesreform 2013 braucht es dafür nicht mehr zwingend das
Einverständnis der Mutter. Solange es dem Kind nicht schadet, kann
der Vater nun auch gegen ihren Willen mit das Sorgerecht bekommen.

Was heißt das fürs Familienleben?

Mutter und Vater teilen sich die Sorge fürs Kind und sein Vermögen.
In intakten Familien bedeutet das, dass die Eltern in allen Fragen
eine gemeinsame Position finden müssen. Nach einer Trennung wäre das
aber wohl oft sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Hier macht das
Gesetz deshalb einen Unterschied: Einig werden müssen sich die Eltern
nur «bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das
Kind von erheblicher Bedeutung ist». In «Angelegenheiten des
täglichen Lebens» darf der allein entscheiden, bei dem das Kind lebt.

Welche Entscheidungen sind alltäglich, welche bedeutend?

Das ist nicht immer einfach zu unterscheiden. Richtschnur ist, dass
alles zum Alltag gehört, was häufig entschieden werden muss, keine
langfristigen Auswirkungen hat und im Zweifel auch wieder über den
Haufen geworfen werden kann. In dem Fall dürfte die Mutter also zum
Beispiel entscheiden, wann die Tochter abends zu Bett geht, ob sie
Süßigkeiten bekommt oder zum Ballett oder Fußball angemeldet wird.
Geht es aber eines Tages darum, ob das Mädchen ans Gymnasium wechselt
oder mehrere Monate ins Ausland geht, hat der Vater mitzureden.

Was gilt, wenn es um die Gesundheit geht?

Das gleiche Prinzip: Fängt sich das Mädchen einen Schnupfen ein, kann
sich die Mutter ohne Rücksprache kümmern. Über eine größere Operation
müssten dagegen beide gemeinsam entscheiden. Umstritten war bisher,
was mit Impfungen ist – gewissermaßen ja auch eine Routinesache. Hier
legt der BGH jetzt höchstrichterlich fest: Die Entscheidung dafür
oder dagegen ist von erheblicher Bedeutung fürs Kind. Im Grundsatz
steht sie nicht häufig an, sondern nur einmal, auch wenn es später
vielleicht noch Auffrischungen braucht. Und die Auswirkungen können
nach Bewertung der Richter schwerwiegend sein – wenn Nebenwirkungen
auftreten, aber eben auch, wenn ein ungeimpftes Kind sich infiziert.

Was passiert, wenn sich die Eltern – wie hier – nicht einigen?

Dann bleibt nur der Gang zum Familienrichter. Er darf die Sache nicht
selbst entscheiden, kann aber festlegen, wer von beiden das letzte
Wort haben soll. Zentrales Kriterium ist dabei das Wohl des Kindes.

Und was ist für das Kind besser: impfen oder nicht?

Auch hier gibt der BGH für die Zukunft die Linie vor: Solange bei dem
Kind keine speziellen Gesundheitsrisiken gegen die Impfung sprechen,
ist der Befürworter, also der Vater, die bessere Wahl. Er darf seine
Tochter gegen neun Infektionskrankheiten wie Tetanus, Masern und
Röteln impfen lassen, wie von der Ständigen Impfkommission empfohlen.
Für den BGH sind diese Empfehlungen «medizinischer Standard». Ein
Expertengutachten, das die Mutter verlangte, braucht es nicht.

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