Ihre Afrika-Reise führt die Kanzlerin in den ärmsten Staat der Welt.
Niger gilt als Schlüsselland, um Fluchtbewegungen zu steuern. Doch
einfache Lösungen für die enormen Schwierigkeiten gibt es nicht.
Niamey (dpa) – Angela Merkel hat gut fünf Stunden. Zwischen ihren
Reisestationen Mali und Äthiopien macht die Kanzlerin am Montag nur
kurz Station im Niger. Es ist ein Land mit riesigen Problemen, für
das Merkel die Deutschen in Zeiten der Flüchtlingskrise stärker
interessieren will. Von «unserem Nachbarkontinent» hat sie vor dem
Abflug gesprochen – jenem Kontinent mit als einer Milliarde Menschen,
der für viele vor allem Hunger, Krieg und Krisen bedeutet. Nun also
vor Ort in Niger, dem ärmsten Land der Welt. Der Drehscheibe für
hunderttausende Flüchtlinge, die statt gen Norden zu ziehen, mit mehr
europäischer Hilfe in der Region bleiben sollen.
Es ist schwülwarm, als Merkel in der Hauptstadt Niamey landet. Am
Flughafen erwartet sie ein bunter Empfang. Trommeln dröhnen, einige
Frauen tanzen in Kleidern in Schwarz-Rot-Gold. Gastgeber Mahamadou
Issoufou lenkt die Besucherin vom roten Teppich direkt zu den Männern
vom Stamme der Wodaabe in ihren Trachten mit Federschmuck und gelber
Schminke. Die Wagenkolonne rauscht dann über abgesperrte Straßen zum
Präsidentenpalast, an einer Kreuzung hängt ein großes Transparent mit
Merkels Bild. «Bienvenue – willkommen», steht darauf.
Einen Eindruck bekommt die Kanzlerin nur von einem Ausschnitt der
Probleme, mit denen Niger zu kämpfen hat. Aber auch von einigen
Lösungsansätzen. Fast die Hälfte der 18 Millionen Einwohner in dem
westafrikanischen Staat lebt unter der Armutsgrenze. Seit Jahren gibt
es Anschläge bewaffneter Milizen. Auch die nigerianische Terrorgruppe
Boko Haram ist aktiv. Frauen bekommen im Schnitt sieben Kinder. Etwa
die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15 Jahre, aber der Mangel an
Bildung ist ein großes Problem.
Merkels Kolonne biegt auf den Hof der Schule Goudel II, in der 700
Kinder unterrichtet werden, 500 davon Mädchen. In der Klasse von
Madame Yacouba sind es 29 Mädchen und 15 Jungen. Elf bis 13, 14 Jahre
alt sind sie. Die Lehrerin unterrichtet Französisch, erklärt vieles
aber in der regionalen Muttersprache der Kinder, wie sie erzählt.
Die Kanzlerin winkt kurz zur Tür herein, geht in das Klassenzimmer
nebenan. «Berlin, das ist meine Hauptstadt», sagt sie. Mitgebracht
hat sie einen Satz Fußbälle, samt der Bitte: «Ihr müsst die Mädchen
auch spielen lassen.» Schon vorher hat Präsident Issoufou betont,
dass mehr Mädchen bis 16 in Schulen gehen sollen – als wichtiges
Mittel gegen Kinderheiraten und die problematisch hohe Geburtenrate.
Merkel besucht noch ein Zentrum für rückkehrende Migranten. Direkt zu
den schwierigsten Flüchtlings-Brennpunkten führt ihre Kurzvisite aber
nicht. Da ist vor allem die Wüstenstadt Agadez, 950 Kilometer
nordöstlich von Niamey, die ein zentraler Knoten auf der Fluchtroute
in Richtung Mittelmeer ist. Mehr als 290 000 Menschen verließen nach
Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) seit
Februar den Niger in Richtung Algerien und Libyen. Sie kommen aus
Nigeria, Gambia, Senegal, der Elfenbeinküste. Von Niamey nehmen viele
Busse nach Agadez. Abgeholt werden sie von «Fixern», Mittelsmännern
die solche Reisen organisieren.
In Agadez beginnt dann für viele ein langes Warten unter schlechten
Bedingungen, ehe es in Bussen weiter nach Norden geht. Dabei ist der
Menschenschmuggel auch ein lukratives Geschäft. Nach IOM-Angaben
verdienen Schleuser umgerechnet mehr als 5000 Euro pro Woche. Womit
sonst könnte man so viel Geld verdienen? Damit es mehr alternative
Arbeitsgelegenheiten gibt, kündigt Merkel 17 Millionen Euro Hilfe an.
Zu einem kleinen Disput kommt es dann aber doch. Präsident Issoufou
ruft nach viel mehr Geld der EU für Herkunfts- und Durchgangsländer
afrikanischer Flüchtlinge. Nötig sei etwas wie ein «Marshallplan»,
wie er Westeuropa nach dem Krieg geholfen hat. Merkel lässt
einigermaßen deutlich durchblicken, dass sie wenig davon hält.
Die Voraussetzungen seien andere und staatliche Strukturen, das
Bildungs- und Wirtschaftssystem in Afrika nicht dafür gerüstet. Es
nütze doch nichts, Geld für den Aufbau von Unternehmen zu geben, «und
am Schluss verrostet alles», betont die Kanzlerin. Überhaupt dürfte
es mehrere Jahre dauern, um große Veränderungen zu erreichen. «Aber
die Zeit drängt.» Anfangserfolge etwa für mehr Arbeitsmöglichkeiten
seien möglich und wichtig – damit vor allem junge Leute sähen, dass
es aufwärts gehe für ihr Leben.