Die Begeisterung für ein Studium beschert den deutschen Hochschulen
immer neue Rekorde. Der Demografen-Blick auf die nächsten 20 Jahre
deutet allerdings auf ein Ende des Booms hin.
Wiesbaden/Berlin (dpa) – An vielen deutschen Hochschulen wird es
immer enger. Im Wintersemester haben die Studentenzahlen mit gut 2,8
Millionen erneut eine Schallmauer durchbrochen. Geht das nun immer so
weiter – während auf der anderen Seite die Betriebe händeringend und
oft vergeblich nach fähigen Auszubildenden fahnden? Einige Fragen und
Antworten zum Studierenden-Rekord, der Skeptiker bereits von einem
«Akademisierungswahn» in Deutschland sprechen lässt.
Wie haben sich die Zahlen mittel- und langfristig entwickelt?
Im Wintersemester gab es nach den Daten des Statistischen Bundesamtes
2 806 063 Studenten – und damit 48 300 (1,8 Prozent) mehr als ein
Jahr zuvor. Die meisten gingen auf die 240 Hochschulen in staatlicher
Trägerschaft. Knapp zwei Drittel waren an wissenschaftlichen
Hochschulen eingeschrieben, gut ein Drittel an Fachhochschulen. Das
rasante Wachstum lässt sich am besten an Vergleichszahlen im
Zehnjahrestakt ablesen: 1996 zählten die Statistiker nur gut 1,8
Millionen Studenten in Deutschland, 2006 knapp unter zwei Millionen.
Dann begann der Boom. Inzwischen gibt es gut 18 000 Studiengänge in
Deutschland – etwa 7000 mehr als ein Jahrzehnt zuvor.
Wie verteilen sich die Studenten auf die Bundesländer?
Die meisten Studenten hat – klar vor Bayern und Baden-Württemberg –
mit knapp 772 000 das bevölkerungsreichste Land Nordrhein-Westfalen.
Dort herrscht in Hörsälen und Seminarräumen oft drangvolle Enge. Ein
Indiz: Auf einen Professor kommen mehr Studenten als in jedem anderen
Bundesland, wie das NRW-Wissenschaftsministerium diese Woche
einräumte. Während ein «Prof» 2014 im Bundesdurchschnitt 72
Studierende an Universitäten und Hochschulen betreute, waren es in
Nordrhein-Westfalen 99 (ohne die Fernuniversität Hagen immerhin noch
87). Die wenigsten Studenten gleichzeitig müssen Professoren in
Thüringen und Bremen betreuen – im Schnitt etwa 50.
Rücken denn nun immer mehr Studienanfänger nach?
Derzeit nicht, die Zahl stagniert interessanterweise. In diesem Jahr
– Sommersemester und Wintersemester zusammengerechnet – schrieben
sich 505 900 Menschen erstmals an einer Hochschule ein, 0,1 Prozent
weniger als 2015. Im Jahr davor war es ähnlich. Ein Grund für den
Erstsemester-Rückgang: das Ende der doppelten Abiturjahrgänge. Zudem
nahmen mehr Ausländer ein Studium in Deutschland auf, die vorher in
ihrem Heimatland eingeschrieben waren. Tatsächlich sinkende
Studierendenzahlen verzeichnen alle ostdeutschen Ländern außer
Thüringen, den größten Zuwachs hat Schleswig-Holstein.
Was hat die Politik getan, um den Run auf die Hochschulen abzufedern?
Bund und Länder beschlossen 2014 die abschließende Phase des
Hochschulpakts. Auf Basis einer Prognose der Kultusministerkonferenz
(KMK) zu den Studienanfängerzahlen 2014 sollen im Vergleich zu 2005
bis zu 760 000 zusätzliche Studienplätze gemeinsam finanziert werden.
Die Bundesregierung stellt knapp 10 Milliarden Euro bis 2023 bereit,
die Länder geben eine ähnliche Summe. Die Hochschulrektorenkonferenz
verlangt nun eine «Verstetigung des Hochschulpaktes». Denn die Zahl
von fast 506 000 Studienanfängern liege erneut über den Prognosen. In
ihrer Forderung sind sich die Uni-Leitungen mit der
Bildungsgewerkschaft GEW sowie Grünen und Linken im Bundestag einig.
Und wie geht es weiter?
Das Abebben der Studienanfängerzahlen seit einigen Jahren gibt schon
mal einen Vorgeschmack auf das, was Demografie-Experten den
Hochschulen prognostizieren. Bis 2035 sei ein dramatischer Rückgang
zu erwarten, rechnet die CHE Consult vor, eine Tochter des zur
Bertelsmann-Stiftung gehörenden Centrums für Hochschulentwicklung
(CHE). «Einigen Hochschulleitungen fehlt die Weitsicht», sagte Ronny
Röwert von CHE Consult der «Zeit» und ARD-alpha. Gerade für kleinere
Hochschulen sei es schwieriger, einen Studierendenrückgang zu
verkraften. Sie müssten sich daher schon jetzt Gedanken machen, wie
sie überregional Bewerber gewinnen und ihr Profil verbessern könnten.