Grammatikfibeln, Verben deklinieren, Wort-Ungetüme buchstabieren:
Deutsch zu lernen war für viele Einwanderer lange nicht Priorität.
Das hat sich geändert.
Berlin (dpa) – Manche der jungen Expats und Studenten kokettieren
noch damit: «Life is too short to learn German» («Das Leben ist zu
kurz, um Deutsch zu lernen») steht auf Jutebeuteln, mit denen sie
durch die Straßen von Berlin schlendern. Im Café in Berlin-Mitte oder
-Kreuzberg oder -Neukölln auf Englisch bestellen, weil das Personal
kein Deutsch spricht – auch das gibt es vereinzelt. Insgesamt gehört
Deutschlernen aber immer häufiger zum guten Ton. Das hat Folgen.
«Gefühlt eröffnet in Berlin jede Woche eine neue Sprachschule», sagte
der Vorsitzende des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
(FaDaF), Matthias Jung. Statistiken gibt es zwar nicht, aber Inserate
im Netz, an Laternen oder auf Schwarzen Brettern sprechen für sich.
Betreiber berichten von Konkurrenz und Preiskampf: Zum Teil würden
Kurse für unter zwei Euro pro Stunde pro Teilnehmer angeboten,
erklärt Ulrike Schulte-Overberg von der Sprachschule «Parlando».
Manche der neueren Orte zum Deutschlernen in der Hauptstadt nennen
sich nicht mehr zwangsläufig Sprachschule und sehen nicht so
aus: «Keine langen Flure, keine sterilen Unterrichtsräume»,
stattdessen unterrichte man in «kreativem, künstlerischem Umfeld»,
wirbt etwa die «Sprachmafia» in Neukölln. Dort herrscht fast
Kneipen-Atmosphäre: die Wand ist natürlich unverputzt.
Berlin ist nicht allein, auch wenn es sich hier besonders ballt:
Einen langsamen, aber stetigen Anstieg der Nachfrage nach
Deutschkursen beobachtet der Leiter der Goethe-Institute in
Deutschland, Roland Meinert. Etwa seit 2012 wollen nach seinen
Angaben mehr Menschen die Sprache hierzulande lernen, allen voran
Studenten und Berufseinsteiger. Das habe mit der Krise in Südeuropa,
der gestiegenen Attraktivität Deutschlands und der positiven
Entwicklung des Arbeitsmarkts zu tun. «Überproportional zugenommen
hat der Anteil der Kursteilnehmer, die bereits in Deutschland leben.»
In ihre Kurse komme eine «Welle junger Menschen» aus der ganzen Welt,
die ihre Heimat mangels Perspektive verlassen haben, berichtet eine
Berliner Deutschlehrerin, die für mehrere Schulen arbeitet und nicht
namentlich genannt werden will. Neben Süd- und Osteuropa stammten die
Schüler vermehrt auch aus den arabischen Ländern, Südamerika und den
USA, Korea und der Türkei. Sie alle lernten Berlin als relativ
günstige, weltoffene Stadt kennen – wobei manche nach einiger Zeit
wegen der relativ niedrigen Einstiegsgehälter ernüchtert etwa
gen München abwanderten, so ihre Erfahrung.
Auch in den sozialen Netzwerken ist Deutsch Thema: Sprachlehrer und
Schulen posten Vokabeln, Redewendungen und Lückentexte, um Schüler
bei der Stange zu halten. Auf der Seite «Days of Deutsch» werden im
Instagram-Stil Fotos von einem Gegenstand mit dem zugehörigen Wort
verbunden: Auto mit Delle – «Unfall». Die Seite «Hack your German»
lehrt Umgangssprache via Comic: zu «rumgurken» fährt eine
Essiggurke Fahrrad.
Auch wenn mit Humor gelernt wird, ist es vielen Schülern ernst:
Häufiger als früher wollen sie ihr Können dokumentiert wissen. «Das
Image der Prüfung hat sich verändert, auch weltweit wächst die
Nachfrage kontinuierlich», so Meinert für die Goethe-Institute. Für
Berlin rechnet man dort 2016 mit 30 Prozent mehr Prüfungen als 2015.
Wer hierzulande zum Beispiel ein Studium aufnehmen will, muss
Sprachkenntnisse nachweisen: Manche Schulen betrieben jedoch eine
«extreme Abzocke» mit «Fantasiezertifikaten», die an Unis gar nicht
anerkannt würden, sagte Matthias Jung vom FaDaF. Das Angebot und
dessen Qualität zu überblicken, ist schwer. Es scheint eine Blase zu
sein: Viele der neuen Anbieter verschwänden auch wieder, glaubt Jung.
Für Sprachlehrer hat sich die Lage angesichts der vom Staat bezahlten
Kurse für Flüchtlinge gedreht: Sie verdienen dort inzwischen deutlich
besser als an Sprachschulen. Dabei beschreiben viele den Markt
bereits als leer gefegt. Selbst Bewerber ohne eine fachliche
Ausbildung und Lehrer-Neulinge fänden Jobs, sogar wenn sie nicht
einmal Muttersprachler seien, so Jung vom FaDaF.
Dabei erfordert der Beruf neben dem reinen Vermitteln der Sprache
zunehmend ganz andere Kenntnisse: «In den Klassen sitzen plötzlich
mehr Kriegsparteien», sagt die Berliner Sprachlehrerin mit Blick auf
Teilnehmer verfeindeter Nationen. Geflüchtete bringen demnach auch
ihre Sorgen mit in den Unterricht. Der Stoff will durchdacht sein:
Politik und Religion als Gesprächsthemen bergen vermehrt Konflikte.
Schüler, egal welcher Herkunft, wollten darüber nicht mehr gerne
reden – weil sie andere nicht vor den Kopf stoßen wollen.