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«Griaß di, i hob di gern» – kleine Münchner sollen Sprache bewahren

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Eine tote Sprache – da denkt man an Latein. Doch tot ist auch
Bairisch in Bayerns Landeshauptstadt München – zumindest fast. Was
noch zu retten ist, sollen jetzt die Jüngsten besorgen.

München (dpa) – Bairisch hat eigentlich keine Zukunft mehr in
München. Sepp Obermeier vom Bund Bairische Sprache verweist auf eine
Studie, der zufolge es bereits 1998 gerade noch etwa ein Prozent
Bairisch-Sprecher an den Schulen der Landeshauptstadt gab. Bairisch
in den Lehranstalten «ist tot», sagt auch Horst Münzinger,
Vorsitzender des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte. Doch
die Mundart, die auf dem Land durchaus noch präsent ist und
zahlreiche Preziosen hervorgebracht hat, soll in der Millionenstadt
vor dem Aussterben gerettet werden – und das nicht nur mithilfe des
Internationalen Tags der Muttersprache am 21. Februar.

So soll der Kindergarten St. Franz Xaver im Stadtteil Trudering die
Keimzelle einer neuen Generation von Bairisch-Sprechern werden. Erika
Marschall, seit dem Herbst Erzieherin im Unruhestand, bietet einmal
in der Woche für eine halbe Stunde Bairisch für Vier- bis
Sechsjährige an. Die Eltern, viele zugezogen aus anderen
Bundesländern, seien begeistert.

Die Kinder üben noch. «Guad Moang!», begrüßt die Mittsechzigerin die
14 noch etwas müden Kleinen. An diesem Tag lernen sie anhand der
Bilderbuchgeschichte vom bairischen Kasermandl, dem Senner, was Rahm
ist – Sahne natürlich. «A Weda kimmt», liest Marschall vor. «Was is’n
des?» «Ein Sturm!», lautet die Antwort. «Ein Gewitter», verbessert
Marschall. Zum Schluss tanzen Buam und Madln gemeinsam: «Aber griaß
di, aber griaß di, i hob di so gern, mogst du mi, mog i di, tanz ma
mitanander, du und i.»

Auf Marschalls fröhliches «pfiat di» antworten die Kinder dennoch mit
«tschüß». Aber schließlich laufe der Kurs erst seit Oktober, sagt
Marschall. Eine Kindergarten-Oma gab den Anstoß dazu. Mit ihr
zusammen arbeitete Marschall eine Art Lehrplan aus, denn passende
Bücher gibt es kaum. Die Kindergärtnerin aus Niederbayern übersetzt
selbst, in ein eher «münchnerisches» Bairisch. Für Kinder, die neben
der Hochsprache noch einen Dialekt sprechen, ergäben sich viele
Vorteile: Sie hätten Studien zufolge einen größeren Wortschatz, ein
besseres Erinnerungsvermögen und seien konzentrierter, führt
Münzinger an. «Man kann damit nie früh genug anfangen.»

«Mundarten sind unverzichtbarer Teil der Sprachkultur und tragen
entscheidend zur Ausprägung der bayerischen Identität bei», findet
auch das bayerische Kultusministerium und verweist auf Verfassung und
Erziehungs- und Unterrichtsgesetz des Freistaats. Dort heißt es, «die
Schüler sind [.] in der Liebe zur bayerischen Heimat [.] zu
erziehen».

Eine Aufnahme des Bairischen in die Europäische Charta der Regional-
und Minderheitensprachen, wie Münzinger es sich wünscht, ist aber
wohl unwahrscheinlich: Das Ministerium hatte 2015
Sprachwissenschaftler um eine entsprechende Bewertung gebeten.
Demnach sei keine der in Bayern gesprochenen Mundarten, darunter auch
das Bairische, eine Regionalsprache im Sinn der Charta, sondern sie
seien als «Dialekte der deutschen Amtssprache» zu sehen. In der
Charta werden für Deutschland etwa Nordfriesisch und Sorbisch als
Sprachen aufgeführt.

Für Sepp Obermeier vom Bund Bairische Sprache hat Bairisch ohnehin
nur noch auf dem Dorf eine Chance. Wo es nicht mehr als die Hälfte
der Kinder von Haus aus sprächen, seien auch Kurse wie der in
Trudering «folkloristisches Beiwerk». Im Gegenteil werde manchen
«Bauernkindern» der Dialekt oft im Kindergarten ausgetrieben. «Das
ist zum Scheitern verurteilt in München.» Wo sich aber Zugezogene
einer bairisch sprechenden Mehrheit anschlössen, könne die
Heimatsprache durchaus ein Integrationsfaktor sein.

Ob Kindergartenkurse tatsächlich ein Erfolg werden, müsse abgewartet
werden, findet Anthony Rowley, Dienststellenleiter der Kommission für
Mundartforschung an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. In
Städten könnte die Sprache wohl eher nicht wieder verankert werden.
Doch Prominente wie der in Bayern aufgewachsene
VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller oder Ministerpräsident Horst
Seehofer könnten dabei helfen, Bairisch gesellschaftsfähig zu machen,
findet Münzinger vom Förderverein Bairische Sprache und Dialekte.

Insgesamt sei das Engagement der Kindergärtnerinnen dennoch positiv
zu bewerten, sagt Münzinger. Er hofft auf Nachahmer in Kindergärten.
Ist alles Bemühen aber nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
«Das kann man so sehen, wenn man Pessimist ist», räumt Münzinger ein.
Um anzufügen: «Bayern san Optimisten.»

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