«Bildung gebührenfrei» – dieses Wahlversprechen könnte SPD-Chef
Schulz teuer zu stehen kommen, falls er Kanzler wird. Allein
Gratis-Kitas würden Milliarden kosten. Experten warnen davor, für
eine Wohltat die Qualität frühkindlicher Bildung zu vernachlässigen.
Berlin (dpa) – Es sind nur vier kurze Sätze im «Regierungsprogramm
2017», mit denen sich Kanzlerkandidat Martin Schulz und seine Partei
weit aus dem Fenster lehnen. «Unsere Bildungspolitik schafft gleiche
Chancen für alle», kündigt die SPD vollmundig an. «Denn noch
entscheidet hier zu oft der Geldbeutel der Eltern. Deshalb machen wir
die Bildung gebührenfrei. Und zwar von der Kita über die Ausbildung
und das Erststudium bis zum Master und zur Meisterprüfung.» Ein
Versprechen, das Risiken birgt.
Bisher werden Eltern für die Betreuung ihrer Kleinkinder fast überall
zur Kasse gebeten. Die Beitragshöhe richtet sich nach Bundesland,
Kommune, Kita-Träger und Kindesalter. Teilweise sind 600 bis 700 Euro
pro Monat fällig. Es gibt auch nach Einkommen der Eltern gestaffelte
Gebühren, oft müssen Bezieher niedriger Einkommen wenig oder kaum
etwas zahlen. Berlin («Arm, aber sexy») hat die Beteiligung der
Eltern als erstes Land komplett abgeschafft. Anderswo wünschen sich
Politiker ähnliche Wohltaten – besonders intensiv, wenn sie nicht in
Regierungsverantwortung und damit für die Kosten zuständig sind.
Für 2015 waren nach Angaben des Bundesfamilienministeriums Ausgaben
von 26,9 Milliarden Euro für Kindertagesbetreuung veranschlagt. Davon
entfielen 6,3 Milliarden Euro auf private Geldgeber, darunter die
Eltern. Gut 10 Milliarden Euro hatten die Kommunen zu stemmen, fast
die gleiche Summe die Länder. Der Bund entlastet Kommunen und Länder
beim Ausbau der Kinderbetreuung – zuletzt wieder mit gut 1,1
Milliarden Euro für 100 000 zusätzliche Kita-Plätze.
Das reicht nach Studien der Bertelsmann-Stiftung aber noch lange
nicht aus. Expertin Annette Stein sagt im Gespräch mit der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin: «Sowohl bei Quantität als auch bei Qualität
gibt es weiterhin einen hohen Ausbaubedarf – trotz der bisher schon
enormen Investitionen. Man kann noch längst nicht von kindgerechten
Personalschlüsseln in den Kitas sprechen.»
Deswegen sieht die Stiftung die SPD-Forderung nach Gebührenfreiheit
von Kitas «zum jetzigen Zeitpunkt» kritisch: «Langfristig ist das mit
Sicherheit ein sinnvolles Ziel, erst recht in einem Land, wo man ohne
Gebühren studieren kann», sagt Stein. «Aber wir haben im Moment keine
ausreichende Qualität für die Kinder. Wenn wir die finanzieren
wollen, brauchen wir weiterhin finanzielle Unterstützung der Eltern.»
Diese sähen das übrigens meist genauso. «Wir waren letztes Jahr bei
einer repräsentativen Befragung erstaunt, wie viele Eltern bereit
wären, für bessere Kita-Qualität noch mehr zu bezahlen oder auf eine
bereits erfolgte Beitragsbefreiung wieder zu verzichten.»
Anstatt allen Eltern die Gebühren zu erlassen und damit eine
schlechtere Personalausstattung in Krippen und Kitas zu riskieren,
sollten Beiträge künftig nach bundesweit einheitlichen Kriterien
erhoben werden. «Und es muss eine einheitliche soziale Staffelung
geben», fordert Stein. «Es ist nicht richtig, wenn Eltern, die wenig
verdienen, überlegen müssen, ob sie ihr Kind früher oder später in
die Kita geben.» Nach ihren Berechnungen benötigen einige
Bundesländer «eine Verdoppelung der Etats, um kindgerechte
Personalschlüssel zu erreichen». Daher solle der Bund finanziell mehr
tun als bisher. «Dafür müssten die Länder im Gegenzug akzeptieren,
dass der Bund mitgestaltet, wenn er Geld gibt», sagt Expertin Stein.
Eine dpa-Umfrage in den Bundesländern ergab, dass die Kita-Politik
ein Flickenteppich mit den unterschiedlichsten Betreuungs- und
Gebührenmodellen ist. Die CDU ahnt, dass Schulz‘ Gratis-Versprechen
im aufziehenden Bundestagswahlkampf populär werden könnte, und hält
mit einem Siegertypen aus Schleswig-Holstein dagegen.
Die Idee der kostenfreien Kita-Plätze gehe doch «meilenweit an der
Lebenswirklichkeit vorbei», sagt der designierte Kieler
CDU-Ministerpräsident Daniel Günther im dpa-Gespräch. «Die SPD hat
auch in Schleswig-Holstein genau damit Wahlkampf gemacht und verloren
– weil sie selbst nach fast 30 Jahren Regierungsverantwortung für die
höchsten Kita-Beiträge aller Zeiten verantwortlich ist.» Eltern sei
hohe Qualität mit passgenauen Betreuungszeiten in Krippen und Kitas
viel wichtiger als «populistische Umsonst-Wahlversprechen».