Immer neue teure Hotels und Luxus-Wohnungen: Berlin wandelt sich
gerade rasant. Wo ist noch Platz für Kunst und Coolness?
Berlin (dpa) – Nebenan war neulich die Polizei da, um eine alte
Teppichfabrik zu räumen, nachts zieht es die Clubgänger zur «Wilden
Renate». Ein paar Schritte weiter werden Luxus-Wohnungen gebaut.
«Waterside Living Berlin» steht auf einem Schild. Am Spreeufer könnte
man geführte Touren zum Wandel der Hauptstadt anbieten. Wo ist sie
schon teuer und voller Yuppies, wo gibt es noch Subkultur? Ist ein
Viertel schon «gentrifiziert», also teuer geworden?
Alexander Skornia kennt die Debatte. Er betreibt das «1 Stralau» an
der Spree: vor dem Mauerfall ein Hafen-Kraftwerk im DDR-Grenzgebiet,
heute ein Biergarten mit Strand und Eventlocation mit einer Prise
Berlin-Patina. Ein Underground-Club ist verschwunden. Eine
Investorengruppe hat das Gelände für einige Jahre gemietet.
Gentrifizierung? Skornia winkt ab. «Dann würde ich hier nicht
sitzen.» Der Ort versteht sich als multikulturell und als Treffpunkt
für alle. Es gibt bald einen Markt für afrikanisches Street Food,
abends kommen die Leute zum Schachspielen vorbei. Um 22.00 Uhr ist
Schluss – wegen der Nachtruhe. Das «1 Stralau» ist typisch für Berlin
2017. Die Stadt ist erwachsener geworden.
Ortswechsel, ein Sommerabend im Prenzlauer Berg: Das Festival
Pop-Kultur ist in eine ehemalige Brauerei gezogen. Das «Antje
Øklesund» ist dort auferstanden. Der abgerissene Club ist jetzt
Kunst. Die Besucher klettern auf einen Podest und gucken sich in
einer Installation die Trinkgeldbox, Barhocker und den Putzeimer an.
Das Berliner Nachtleben ist museumsreif. Es grassiert die Wehmut: Die
90er, da war es noch wild und schrammelig. Es gab noch nicht fast 800
Hotels, keine Junggesellenabschiede und keine Touristen, die auf
Leihrädern die Radwege blockieren. Damals, als ein Bierkasten zum
Draufsitzen und einer zum Trinken für die Party reichte.
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) diskutiert bei dem
Pop-Festival mit Veteranen aus dem Nachtleben. Er zitiert Brecht:
«Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die schönste Zeit.» Neben ihm
klagt ein Festivalchef, in Berlin sei kein Platz für sieben Bühnen.
Überhaupt, die heimlichen Clubs und Open-airs, vorbei: «Irgendwann
wirst du immer von der Polizei ertappt.» Die Lösung: Das Festival zog
nach Brandenburg.
Wo ist noch Platz für Kultur, für Probenräume, Galerien, Bars? «Wir
kämpfen derzeit um jeden Raum», den wir bekommen können», sagt
Lederer. Noch so eine Diskussion: die Alte Münze an der Spree. Wird
das riesige Gebäude aus den 30er Jahren zum «House of Jazz», wie es
der Bund und Trompeter Till Brönner vorschlagen? Die Pläne für die
«Münze» sind schwammig. Aber die Erleichterung ist groß: Immerhin
wurde das Gebäude nicht an Privatleute verkauft.
War die Stadt nach dem Mauerfall noch ein Abenteuerspielplatz, so ist
heute der Immobilienboom ein Dauerthema. Vorbei die Zeit, als man bei
der Wohnungssuche noch nach Straße oder Südbalkon auswählen konnte.
Berlin hat jetzt die Nöte, die andere Städte längst kennen.
In Zeiten der Finanznot wurden viele Gebäude verkauft. «Alles, was
wir veräußert haben, ist mittlerweile das Doppelte wert», sagt
Ephraim Gothe, SPD-Stadtrat im Bezirk Mitte. Mittlerweile will der
rot-rot-grüne Senat verstärkt ein Vorkaufsrecht für Wohnhäuser
nutzen, damit Mieter bleiben können.
Was wertet ein Viertel auf und wo beginnt die Verdrängung? Da gehen
die Meinungen auseinander. Gerade hat mit dem «Orania.Berlin» mitten
im noch struppigen Kreuzberg ein edles Hotel aufgemacht. Ist doch
besser als noch ein Hostel oder eine Kette, sagen die einen. Macht
den Kiez noch teurer, sagen die anderen.
Berlin hat auch das Luxusproblem der globalisierten Städte weltweit:
Es gibt viele Hipster, also Leute, die wissen, dass man jetzt
Filterkaffee trinkt und wie man die vietnamesische Suppe «Pho»
richtig ausspricht (was schwierig ist). Diese Gruppe nervt manche
sehr. Der zugereiste Hipster hat den Schwaben als Feindbild abgelöst.
Überall Wandel: Die Cuvrybrache in Kreuzberg war mal eine Mischung
aus Hippie- und Obdachlosen-Camp. Jetzt soll dort der «Cuvry Campus»
entstehen. Ein Mieter: der Online-Händler Zalando. Google will ein
altes Umspannwerk nutzen und hat gerade bei den Nachbarn eine
Charmeoffensive gestartet. Im Wedding fürchten Künstler in den
Uferhallen um ihre Zukunft.
Ist Berlin noch ein Künstlerparadies? Für ihn persönlich ja, sagt der
Australier Joseph Marr, bekannt für Kunst aus Bonbonmasse, die es bis
in die Clubkatakomben des Berghains schaffte. Marr hat Glück: Sein
Atelier in Neukölln hat der 38-Jährige schon lange. Der Wettbewerb
unter den Künstlern sei etwas Gutes, sagt er. Wie viele mag er die
kreative Energie in der noch vergleichsweise günstigen Stadt.
«Hoffentlich geht es nicht in Richtung Paris oder London, aber ich
bezweifle das.» Für die groß gewordene internationale
Künstlergemeinde hat er einen Rat: «Lernt Deutsch, freundet euch mit
den echten Leuten hier an».
Biergarten-Chef Alexander Skornia denkt am Spree-Ufer auch an die
S-Bahnfahrten seiner Kindheit. Er wuchs in Marzahn im Osten der Stadt
auf. Den wilden Jahren der Nachwendezeit trauert der 40-Jährige nicht
hinterher. «Berlin hat sich immer verändert.» Nebenan rattert die
S-Bahn an Streetart und Graffiti vorbei. Berlin wie aus dem
90er-Jahre-Bilderbuch.