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Eine Hälfte Hörsaal, eine Hälfte Leben: Studieren in Teilzeit

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Kranke Angehörige, Kinder, ein Beruf: Gründe für ein Teilzeitstudium
gibt es genug. Doch so vielfältig die Gründe, so zahlreich sind die
Probleme. Denn viele Hochschulen sind kaum darauf eingerichtet. Und
umgekehrt unterschätzen viele Teilzeit-Studis die Herausforderung.

Berlin/Gütersloh (dpa/tmn) – Seminare, Vorlesungen, Projekte und
Referatsgruppen. Dazu noch ein Nebenjob, Praktika, die Lerngruppe und
Vorbereitung auf die Klausurphase – und okay, ja, ein oder zwei Bier
mit den Kommilitonen. Doch das Klischee vom faulen Studenten, der nur
alle paar Tage mal in die Uni schlurft, stimmt längst nicht mehr.
Hochschulbildung ist ein Vollzeitjob. Doch was, wenn man sich
nebenher um die Familie kümmern muss oder noch einen Job hat?

Dann gibt es die Möglichkeit, in Teilzeit zu studieren – zumindest
theoretisch. Etwa 2500 der gut 19 000 Studiengänge in Deutschland
lassen sich mit halber Fahrt absolvieren, das zeigt ein Besuch auf
dem Portal Hochschulkompass.de. «Wie und ob die Hochschulen ein
Teilzeitstudium ermöglichen müssen, ist von Bundesland zu Bundesland
unterschiedlich», erklärt Cort-Denis Hachmeister, Experte für
Datenanalyse beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).

Die meisten Teilzeitangebote gibt es laut CHE bei Gesellschafts-,
Sozial-, Sprach- und Kulturwissenschaften. Medizin zum Beispiel lässt
sich dagegen kaum in Teilzeit studieren. Und natürlich spielt auch
die Hochschule selbst eine Rolle: «Es gibt Hochschulen, die sich auf
Teilzeit-Studiengänge spezialisiert haben», sagt Hachmeister –
darunter viele private Fachhochschulen, die vor allem
berufsbegleitende Bachelor und Master im Portfolio haben. «Umgekehrt
sind offiziell Teilzeit-Studierende bei den staatlichen Hochschulen
eher Ausnahmefälle», sagt Hachmeister.

Trotzdem gibt es Teilzeit-Studis, die es an die großen Unis
zieht: weil sie nur dort ihr Traumfach finden, wegen der oft hohen
Gebühren an privaten Fachhochschulen, wegen dem klangvollen Namen
einer Schule. Oder weil sie dort schon studieren und nur
vorübergehend kürzer treten. Offiziell in Teilzeit eingeschrieben
sind sie aber längst nicht immer. Denn das hat kaum Vorteile – und
viele Nachteile.

Die fangen beim Papierkrieg an: «An manchen Hochschulen muss ich das
Teilzeit-Studium jedes Semester neu beantragen», erzählt Hachmeister.
Hinzu kommen finanzielle Folgen: «Sie sind damit kein Student mehr im
rechtlichen Sinne», erklärt Sabrina Hahm, die im Bologna Lab der
Humboldt-Universität Berlin Teilzeit-Studierende berät. «Sie haben
also keinen Anspruch auf Bafög, auf eine studentische
Krankenversicherung oder Werkstudentenverträge.»

Auf der anderen Seite stehen vor allem eine Verlängerung der
Regelstudienzeit und weniger Pflichtveranstaltungen pro Semester.
Wichtig ist das aber nur dort, wo es Strafen für zu langes Studieren
oder eine strenge Kontrolle der Anwesenheitspflicht gibt, wie Hahm
erklärt. Und bei manchen Stipendien, die auf die Semesterzahl gucken.

Ansonsten hat die Teilzeit-Einschreibung wenig Vorteile. «Teilzeit-
und Vollzeitstudierende, die den gleichen Abschluss anstreben, müssen
prinzipiell auch dasselbe Curriculum absolvieren», sagt Hahm. Da
wundert es nicht, dass sich viele Teilzeit-Studis gegen den
offiziellen Weg entscheiden: «Die Studierenden sind oft regulär in
Vollzeit eingeschrieben, absolvieren ihr Studium dann aber faktisch
in Teilzeit.»

Entsprechend schwierig ist es, die genaue Zahl der Teilzeit-Studis zu
beziffern. Laut aktueller Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks
liegt der Anteil der Studierenden, die entweder offiziell in Teilzeit
studieren oder sich inoffiziell selbst so einstufen, bei acht
Prozent. Berücksichtigt man jedoch das tatsächliche Studierverhalten,
so befinden sich auch 29 Prozent der formal in Vollzeit Studierenden
faktisch in Teilzeit.

Eine homogene Gruppe sind die Teilzeit-Studis allerdings nicht, im
Gegenteil. Schon die Gründe für ein verlängertes Studium sind viel zu
verschieden: Kinder können ein Anlass sein, pflegebedürftige
Angehörige, ein Job oder eine Karriere als Spitzensportler. Und mit
den Gründen ändern sich auch die Anforderungen: Wer neben der Uni
arbeitet, freut sich oft über Blockveranstaltungen am Wochenende.
Eltern können damit eher nichts anfangen, weil ihnen dann die
Betreuungsmöglichkeit fehlt.

Andere Probleme hängen vor allem von den Vorstellungen ab, die jemand
mitbringt. Wer sich zum Beispiel auf das Studentenleben freut, muss
oft frustriert feststellen, dass die neuen Freunde aus dem Seminar
ein paar Semester später enteilt sind, wie Hahm erzählt – weil sie in
Vollzeit und damit schneller studieren.

Und wer neben dem Studium arbeitet und sich von der Uni vor allem
neue Impulse für den Job erhofft, ist oft von den Inhalten
frustriert: «An einer Uni geht es ja nicht immer darum, dass die
Inhalte direkt im Job anwendbar sind», sagt Hahm. «Etliche
Studierende sind dann überrascht, wie viel höhere Mathematik und
Statistik in ihrem Studium steckt.» Ein dezidiert berufsbegleitendes
Studium ist in solchen Fällen oft die bessere Lösung – trotz der
Kosten.

Das größte Problem fast aller Teilzeitstudenten ist aber der Stress
und die Arbeitsbelastung. «Viele haben falsche Vorstellungen», sagt
Hahm. «Dass hinter einer zweistündigen Vorlesung häufig noch einmal
die doppelte Zeit zur Vor- und Nachbereitung der Inhalte steckt, ist
vielen Studierenden im Vorfeld nicht klar.» Hinzu kommt, dass
Belastung an der Uni nicht gleichmäßig abläuft, sondern zyklisch
entlang von Semesterferien und Klausurphasen. Mit einem typischen
Arbeits- oder Familienalltag ist das nur begrenzt kompatibel.

Das Risiko des Studienabbruchs ist unter Teilzeitstudierenden daher
insgesamt höher als bei Vollzeitstudierenden, sagt Hahm. Wer Hilfe
braucht, kann auch an den Unis aber oft welche finden: bei der
allgemeinen Studentenberatung etwa oder speziellen Beratungsangeboten
für Studierende, die neben dem Job oder trotz Familie an die Uni
gehen. Und wer es trotz aller Widerstände schafft, kann mit seinem
Teilzeitstudium sogar angeben, verspricht das CHE: Immerhin hat er
allein damit eindrucksvoll bewiesen, wie groß sein Durchhaltevermögen
ist.

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