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Ein schmaler Grat: Flexibilität im Job hat nicht nur Vorteile

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Dienstschluss, Arbeitsweise und sogar die Aufgaben: Viele
Berufstätige entscheiden über solche Dinge inzwischen selbst. Neue
Arbeitszeitregelungen, moderne Management-Methoden und digitale
Technik machen es möglich. Doch nicht jeder kommt damit klar.

Frankfurt/Stuttgart (dpa/tmn) – Punkt 8.00 Uhr ist Dienstbeginn, jede
Arbeitsanweisung kommt vom Chef – und ohne Erlaubnis fasst man am
besten gar nichts an. Solche strengen Regeln gehören an vielen
Arbeitsplätzen längst der Vergangenheit an. Selbstorganisation und
Selbstführung lauten die Zauberworte: Mitarbeiter sollen selbst
entscheiden, wie sie ihr Ziel am besten erreichen, wie viel und wo
sie arbeiten. Doch unter Umständen ist das der direkte Weg in die
Selbstausbeutung.

Beispiele für diesen Trend gibt es genug. Immer öfter kümmern sich
Mitarbeiter selbst um Dinge, für die es früher im Unternehmen
Personal gab, sei es für die Reisekostenabrechnung oder die
Materialbeschaffung. «Mit Eigenverantwortung hat das nichts zu tun»,
sagt Vanessa Barth vom Vorstand der IG Metall. «Da geht es eher
darum, Kosten einzusparen.»

Positiver sieht sie Managementtechniken wie die sogenannten agilen
Methoden. Sie stammen aus der Softwareentwicklung, kommen heute aber
auch in vielen anderen Branchen und Bereichen zum Einsatz. Eine der
Grundideen dabei ist, dass Teams und Mitarbeiter sich selbst
organisieren, Ziele und den Weg dahin selbst festlegen und auch den
Fortschritt in Eigenregie überprüfen.

«Grundsätzlich gibt es einen Trend zu mehr Eigenverantwortung», sagt
Barth. Der Ursprung liegt in den Vereinigten Staaten. Im Silicon
Valley arbeiten viele Firmen längst mit viel Eigenverantwortung – und
sind auch deshalb so innovativ und schnell.

Hinzu kommen die Möglichkeiten der Digitalisierung: «Ein Grund
ist die technische Veränderung der Arbeitswelt», erklärt Josephine
Hofmann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und
Organisation (IAO). Per Videokonferenz ist man selbst auf dem
heimischen Sofa in Meetings dabei. Wenn alle wichtigen Dokumente
bequem im Intranet abrufbar sind, erleichtert das
eigenverantwortliches Organisieren und dezentrales Arbeiten.

Wo es solche Möglichkeiten gibt, verändern sich auch die Wünsche der
Mitarbeiter: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird vielen zum
Beispiel immer wichtiger. Hinzu kommt der Trend zur sogenannten
Wissensarbeit. «Viele Fachkräfte sind heute so spezialisiert, dass
sie nur selbst wissen, wie sie am besten arbeiten», sagt Hofmann. «Da
kann dann ein Chef keine detaillierten Vorschriften mehr machen, weil
er die Aufgabe selbst nicht überblicken kann.»

Selbstorganisation und -führung gibt es aber noch nicht überall. «Das
ist ein wenig eine Frage der Branche und der Position», sagt
Karriereberaterin Svenja Hofert. «In vielen Produktionsjobs ist die
kleinteilige Aufgabenteilung zum Beispiel noch sehr verbreitet.»
Überall dort, wo kreativ gearbeitet wird, sei der Trend zu
eigenverantwortlichem Arbeiten aber schon deutlich zu sehen.

Auch der Bildungsgrad spielt eine Rolle: Je höher der Abschluss,
desto stärker der Trend zur Selbstführung. Doch nicht jeder komme
damit zurecht, sagt Hofert. Das Arbeiten ohne direkte Anweisungen und
sofortiges Feedback sei eine Typfrage: Manche Berufstätige genießen
es, auf eigene Faust loslegen zu dürfen, andere stresst die
Verantwortung eher.

Wer sich von zu viel Eigenverantwortung gestresst fühlt, kann daher
zwar versuchen, das zu ändern – zum Beispiel mit Fortbildungen rund
um Selbstorganisation oder Aufbauseminare für Führungskräfte. Eine
Erfolgsgarantie gibt es aber nicht, warnt Hofert. «Unabhängiges
Arbeiten ist für den Einzelnen lernbar, aber nur begrenzt», sagt sie.
«Zum Teil ist das aber einfach eine Frage der Persönlichkeit und
damit unveränderlich.»

Deshalb rät die Expertin Arbeitnehmern auch, sich Selbstführung nicht
aufzwingen zu lassen: Braucht jemand zum Beispiel konkrete
Anweisungen und regelmäßiges Feedback, sollte er das in einem
Mitarbeitergespräch ruhig selbstbewusst einfordern. Denn eine
Schwäche sei das nicht: Wer mit klaren Anweisungen besser arbeitet,
ist oft besser oder genauer bei deren Umsetzung als jemand, der gerne
eigene Ziele setzt. «Da ist dann die Führung gefragt, die
herausfinden muss, welcher Mitarbeiter was braucht», so Hofert.

Auch Josephine Hofmann sieht die Verantwortung für erfolgreiche
Selbstführung eher beim Unternehmen: Entscheidend sei, wie die Idee
umgesetzt wird. «Häufig werden Leute damit überfordert, weil sie
dafür die Kompetenzen nicht haben», erklärt die Expertin. So könne es
zum Beispiel passieren, dass jemand zwar die Verantwortung für die
Fertigstellung eines Großprojekts trägt, dabei aber nicht die
Entscheidungsgewalt hat, Personal- und Ressourcenengpässe
auszugleichen. «Da kann dann ein Zwang zur Selbstausbeutung
entstehen.»

Und auch die Stimmung in der Abteilung oder in der Firma muss passen,
sagt Barth. Da seien auch die Mitarbeiter oder ihre Vertreter in der
Pflicht, passende Rahmenbedingungen einzufordern: «Mehr
Eigenverantwortung für Mitarbeiter ist nur dann sinnvoll, wenn es
auch eine entsprechende Kultur im Unternehmen gibt – wenn Mitarbeiter
also zum Beispiel Fehler machen dürfen.»

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