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Drei Milliarden Euro und doch zu wenig? – Neuer Streit ums Bafög

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Gern schreibt sich die Bundesregierung «Bildungsgerechtigkeit» auf
die Fahnen. Doch beim Bafög für Schüler und Studenten sehen Kritiker
große Schwächen und Widersprüche – obwohl der Staat dafür fast drei
Milliarden Euro pro Jahr ausgibt.

Berlin (dpa) – Zwischen «Erfolgsgeschichte» und «Totalversagen» –
kaum ein Bildungs-Thema polarisiert so sehr wie die 1971 eingeführte
staatliche Hilfe für Studenten und Schülern nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz: Bafög. Auch für die jetzige
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ist das Bafög
schwieriges Gelände – zumal sie gern eine sehr positive Sicht der
Dinge verbreitet. Opposition und Gewerkschaften halten dagegen:
Deutschland sei von «Bildungsgerechtigkeit» noch weit entfernt.

Warum bricht die Bafög-Debatte gerade jetzt wieder aus?

Anlass ist der vor wenigen Tagen veröffentlichte «Alternative
Bafög-Bericht» von dem DGB und Einzelgewerkschaften wie GEW, Verdi
und IG Metall. Im scharfen Kontrast zu regierungsoffiziellen
Bafög-Bilanzen wollen die Verfasser «Leerstellen mit eigenen
Datenanalysen füllen», überholte Statistikmethoden über den Haufen
werfen – und darauf hinweisen, dass Schwarz-Rot seinen für 2016
vorgesehenen 21. Bafög-Bericht immer noch schuldig bleibe. Die Grünen
tragen den Protest diese Woche mit einem eigenen Antrag ins
Bundestagsplenum.

Was hat die Regierung beim Bafög vorzuweisen?

Nach Wankas Lesart ist die oft beklagte Stagnation beim Bafög – von
Schwarz-Gelb zwischen 2010 und 2016 eingefroren – zu Ende. Zu diesem
Wintersemester wurden die Bedarfssätze für Studierende um sieben
Prozent erhöht, der Höchstsatz kletterte von 670 auf 735 Euro. Weil
auch die Einkommensfreibeträge angehoben wurden, soll der Kreis der
Geförderten bald um 110 000 wachsen. Außerdem verweist Wanka darauf,
dass der Bund seit Anfang 2015 gut eine Milliarde Euro Bafög-Last von
den Ländern übernommen hat. Insgesamt seien Mehrausgaben von 500
Millionen Euro ab 2017 ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Ganz objektiv: Wie haben sich die Förderzahlen entwickelt?

Mit knapp drei Milliarden Euro für 2015 wurden nach den jüngsten
Zahlen des Statistischen Bundesamtes 870 000 Menschen unterstützt –
ein Minus von gut 50 000 im Vergleich zu 2014 und über 100 000
weniger als im Rekordjahr 2012 (fast 980 000). Diese Gesamtzahl will
Wanka demnächst ungefähr wieder erreichen. Während es aber 1991 knapp
1,8 Millionen Studenten in Deutschland gab, von denen etwa 600 000
Bafög erhielten, besuchten 2015 über 2,7 Millionen Menschen die
Hochschulen – bei ähnlicher Förderzahl.

Wie fällt die Bilanz des «Alternativen Bafög-Berichts» aus?

Aus Gewerkschaftssicht kann das Bafög «Benachteiligungen von Schülern
und Studierenden aus finanzschwachen Elternhäusern nicht hinreichend
ausgleichen». So sei die Schüler-Förderquote «auf einen Minimalwert
von 1,5 Prozent gesunken», bei Studierenden von 19 auf 15 Prozent.
Die offizielle Statistik konstatiert ein Minus von 28 auf 23 Prozent
– laut Alternativ-Bericht ist der Kreis der Bafög-Berechtigten aber
viel zu klein: «Der starke Rückgang der Geförderten hat mit der
Entwicklung der Freibeträge zu tun, die in 2013 wieder unter die
Entwicklung der Bruttolöhne gerutscht ist.» Im Klartext: Immer
weniger Elternhäuser hatten für ihre Kinder einen Bafög-Anspruch.

Was wollen die Grünen im Bundestag erreichen?

Sie halten der Regierung Nebelkerzen und Halbherzigkeit vor. Dass
Wanka regelmäßige Bafög-Erhöhungen ablehnt, ist der Opposition schon
lange ein Dorn im Auge. Nun dringen die Grünen darauf, noch vor der
Bundestagswahl im September ein Sechs-Prozent-Plus bei den
Fördersätzen zu beschließen und die Einkommensfreibeträge nochmals um
drei Prozent zu erhöhen. Während der Nullrunden bis 2016 hätten rund
130 000 Schüler und Studenten «den Zugang zur Förderung verloren»,
sagt Hochschulexperte Kai Gehring. Solche Knausrigkeit verbiete sich
aber: «Studierende sollen sich ihrem Studium widmen können, anstatt
ständig zwischen Hörsaal und Nebenjobs zu pendeln.»

Ist mit dem Status quo die Bildungsgerechtigkeit bedroht?

Ministerin Wanka bestreitet das. Im «Alternativen Bafög-Bericht»
heißt es indes, magere Förderung könne bei Benachteiligten «zum
Abbruch von Schule oder Studium führen». So seien Bedarfssätze und
Mietpauschalen schon wegen der stark gestiegenen Wohnkosten für
weniger begüterte Studierende zu niedrig. Grünen-Experte Gehring
meint: Dass 77 von 100 Kindern mit studierten Eltern es zur Uni
schaffen, aber nur 23 von 100 Kindern, deren Eltern nicht studiert
haben, «zeigt die Bildungsblockade in Deutschland».

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