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Die Postkartenschreiberin

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Am 21. März ist Welttag der Poesie. Dabei, so scheint es, hat die
sich in Zeiten von Facebook und WhatsApp inzwischen aus unserem
Alltag verabschiedet. Dass das nicht so sein muss, beweist eine junge
Frau aus Stuttgart – mit Postkarten.

Stuttgart (dpa) – «Wetter gut, Essen lecker.» So lesen sich die
meisten Postkarten. Die von Sabine Rieker sind anders. «Danke fürs
Sein ganz allgemein», ist darauf zu lesen, oder «Für mich bist du ein
Alltagsheld». Die Stuttgarterin ist Postkartenschreiberin – und was
andere im Urlaub tun, macht sie hauptberuflich. Mit der klassischen
Ansichtskarte hat das nichts mehr gemein. Ein Besuch zum Welttag der
Poesie (21. März).

«Die meisten bekommen gerne Postkarten, aber schreiben nicht gerne
welche», sagt die 30-Jährige. Bei ihr sei das anders. «Ich tobe mich
schon im Adressfeld aus und gestalte das schön.» Fast überflüssig zu
erwähnen, dass sie Briefmarken nicht in das dafür vorgesehene
Kästchen klebt. «Durch das verschnörkelte Adressfeld sind sie auch
mal einen Tag länger unterwegs.» Eine ganze Rolle mit Marken trägt
sie immer bei sich, wie sie sagt. Die Wände im Flur ihrer WG sind mit
Postkarten beklebt.

Aber wer beauftragt jemanden, ihm eine Postkarte zu schreiben – und
ist bereit, Geld dafür auszugeben? Begonnen, erzählt Rieker, hat
alles in Bonn, wo sie damals wohnte. Um auszumisten, habe sie in
einem Café gesammelte Postkarten an Freunde und Bekannte geschrieben
– auch an den Besitzer des Cafés. Der wünschte sich ein Abo: «Du
schreibt mir Postkarten und ich gebe dir etwas dafür», sagt sie.

Zunächst sei sie mit Cappuccino bezahlt worden, von einem
befreundeten Künstler auch mit einer Essenseinladung. «Ich wäre nie
auf die Idee gekommen, dass sich damit Geld verdienen lässt.»
Studiert hat Rieker Germanstik und Kunstgeschichte. Inzwischen
veranstaltet sie Postkarten-Lesungen – und Menschen zahlen ihr auch
mal 50 Euro für eine Karte. «Es gibt bis heute keinen Festpreis»,
sagt sie. «Ich überlasse es dem Gegenüber, was es ihm wert ist.»

Fester Auftraggeber sei etwa eine Segelschule. Teilnehmer eines
Segelkurses bekommen von ihr personalisierte Erinnerungspostkarten.
Auch Ferienhäuser zum Schreiben habe sie schon angeboten bekommen.
Viele bestellten eine Postkarte für sich selbst, aber auch Freunde
und Familie würden häufig damit bedacht. Rieker macht das
hauptberuflich, vier bis fünf Stunden am Tag, wie sie sagt.

Etwa 210 Millionen Postkarten werden nach Zahlen der Post jährlich
befördert, davon 57 Millionen in den drei Sommermonaten. Rieker
selbst kommt nach eingenen Schätzungen auf 1800 im vergangenen Jahr,
in dem sie so richtig mit dem Schreiben losgelegt hat. Kein Wunder,
dass ihr inzwischen sogar der Vorstand der Deutschen Post geschrieben
hat, wie eine Karte in ihrer Sammlung belegt.

Die Postkarte selbst gibt es seit 1870. Ähnlich wie Riekers Karten
sei sie auch anfangs zur Kommunikation genutzt worden, erklärt Veit
Didczuneit, der beim Museum für Kommunikation in Berlin für Brief-
und Schreibgeschichte zuständig ist. «Als kostengünstiges Mittel zum
Austausch des kleinen Mannes.» Inzwischen sei die Postkarte als
Kommunikationsmedium zwar nur noch etwas für Liebhaber. «Mittlerweile
ist es aber so, dass es immer Retro-Bewegungen gibt.» Ähnlich wie dem
Brief mache das Internet allerdings auch der Postkarte zu schaffen.

Für die Postkartenschreiberin schließen sich die beiden Medien nicht
aus. Auf Instagram stellt sie Fotos ihrer beschrifteten Postkarten
ins Netz – und verbindet so virtuelle und haptische Grüße. Zudem
archiviert sie die Karten damit für sich. Rieker lächelt: «Dabei wird
oft gesagt, dass Digitales weniger haltbar ist als Papier.»

Aber wie schreibt man nun eine gute Postkarte? Fragen stellt Rieker
zum Beispiel durchaus auf Postkarten. «Mal stelle ich sie mir, mal
der Person», erzählt sie. «Empfänger sagen mir, dass sie merken: Du
hast mir an einer bestimmten Stelle zugehört, du hast dir Gedanken
über mich gemacht, du nimmst dir Zeit für mich», sagt die Fachfrau,
die sich sogar auf ihr WG-Zimmer mit einer Postkarte beworben hat.
«Ich glaube, das kommt an. Gerade in der heutigen Zeit.»

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