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Der, die oder das Mond? – Deutsch als Fremdsprache unterrichten

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Anderen Deutsch beibringen: Wer das kann, ist im Moment gefragt. Denn
gute Deutsch-Kenntnisse gelten als Grundvoraussetzung, um Flüchtlinge
zu integrieren. Um in dem Bereich zu arbeiten, muss man nicht
zwingend «Deutsch als Fremdsprache» studieren. Es gibt mehr Optionen.

Köln/Berlin (dpa/tmn) – Den Unterricht beginnt Kathrin Ehrhardt immer
auf die gleiche Weise. Wenn auch sonst im Leben ihrer Schüler vieles
im Umbruch ist, soll zumindest das verlässlich sein. In ihrem
Unterrichtsraum gibt es einen großen Kalender. «Welchen Wochentag
haben wir heute?», fragt sie immer als Erstes. Vor ihr sitzen Kinder
im Alter zwischen sechs und zehn Jahren. Sie kommen aus Somalia,
Syrien, der Slowakei oder der Türkei. Der Blick auf den Kalender
hilft. «Heute ist Dienstag», sagt Ehrhardt. Dann wiederholen es die
Kinder – reihum.

Jeder Schüler soll im Unterricht von Ehrhardt selbst zum Sprechen
kommen. «Und welches Datum haben wir heute?», fragt Ehrhardt als
Nächstes. So fängt sie an mit dem Deutschlehren an der
Mercator-Grundschule in Berlin-Lichterfelde.

Ehrhardt, 48, unterrichtet in einem Bereich, der nach Ansicht vieler
Experten in den Schulen immer wichtiger wird. Sie bringt Kindern mit
Migrationshintergrund Deutsch bei. Jedes zweite Kind an der
Mercator-Grundschule hat einen Migrationshintergrund. Dazu kommen
seit zwei Jahren die geflüchteten Kinder. Zeitweise gab es drei
Willkommensklassen an der Schule.

Damit die Kinder im Unterricht mitkommen, brauchen viele eine
spezielle Förderung. Ehrhardt arbeitet seit 2009 an der
Mercator-Grundschule. Sie übernahm die Aufgabe, den Sprachstand der
Kinder festzustellen, sie in Gruppen einzuteilen und dann den
Förderunterricht zu gestalten. Die Grundschullehrerin versteht die
Situation ihrer Schüler: Als ihre Eltern anfingen, im Ausland zu
arbeiten, musste sie als Kind selbst in eine Schule gehen, deren
Unterrichtssprache sie nicht verstand.

«Deutsch als Fremdsprache» (DaF) oder «Deutsch als Zweitsprache»
(DaZ) zu unterrichten, war lange Zeit ein Berufsfeld, dass nicht
sonderlich im Fokus der Öffentlichkeit stand. DaF richtet sich an
alle, die Deutsch völlig neu lernen, DaZ an alle, die Deutsch neben
einer anderen Sprache als zweite lernen – zum Beispiel, weil sie in
Deutschland leben, zuhause aber kein Deutsch sprechen.

Derzeit sind DaF- und DaZ-Experten sehr gefragt. «Seit Ende 2015,
Anfang 2016 ist der Arbeitsmarkt wie leer gefegt», sagt Matthias Jung
vom Fachverband Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Der Bedarf an
Sprachkursen sei an den Schulen, aber auch beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) durch die hohen Flüchtlingszahlen
enorm gestiegen.

Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die in diesem Feld arbeiten
wollen. Um DaF oder DaZ unterrichten zu können, gibt es zum einen die
Möglichkeit, einen entsprechenden Studiengang an der Hochschule zu
wählen. Eine weitere Möglichkeit ist es, an der Hochschule andere
Fächer oder auf Lehramt zu studieren – und parallel
Zusatzqualifikationen in DaZ und DaF zu erwerben. Im Wintersemester
2014/2015 schrieben sich für beides zusammen 5023 Studierende im
ersten Semester ein. Im Wintersemester 2016/2017 waren es bereits
6419. «Die tatsächliche Zahl dürfte noch einmal um 10 oder 20 Prozent
höher sein, da wir nicht von allen Hochschulen eine Rückmeldung
haben», sagt Jung.

Neben der Möglichkeit des Studiums gibt es die Option, nach dem
Studium Weiterbildungen in DaF und DaZ zu machen. Universitäten und
das Goethe-Institut bieten solche Kurse an. Das erste Studium muss
aber in der Regel einen sprachtheoretischen oder -praktischen
Hintergrund haben, um unterrichten zu können, erklärt Heike Uhlig vom
Goethe-Institut. Wichtig sei auch, dass die Lehrer selbst schon
einmal eine Fremdsprache gelernt haben. «Nur dann kann man meistens
richtig verstehen, welche Probleme es gibt, wenn man eine Sprache
erlernt», sagt Uhlig.

Lehrerin Ehrhardt weiß aus ihrer eigenen Erfahrung, wie hilflos man
ist, wenn man sich nicht verständigen kann. Aber sie vertraut auch
darauf, dass fast alle Kinder wahnsinnig schnell lernen: «Die Erst-
und Zweitklässler, die die Sprache gar nicht kennen, brauchen häufig
nur ein halbes Jahr, um sich mitteilen zu können.» Und noch etwas
anderes erstaunt sie immer wieder: wie nüchtern viele Kinder ihr
Schicksal hinnehmen.

Nach dem Üben mit dem Datum arbeitet Ehrhardt an verschiedenen
Themen, etwa was in eine Schultasche hinein muss oder wer zur Familie
gehört. Ehrhardt fragt dann Sachen wie: «Mit wem bist Du nach
Deutschland gekommen?». Die Antworten der Schüler sind oft traurig.
«Ich bin mit meiner Mutter hier. Mein Vater und mein Bruder sind
tot», hörte sie neulich wieder. Ehrhardt versucht dann nicht bedrückt
zu sein, sondern es wie die Kinder als Tatsache hinzunehmen.

Längst nicht jedem gelingt das. Wer DaF oder DaZ unterrichten will,
sollte deshalb auf jeden Fall frühzeitig Praktika machen, rät Uhlig
vom Goethe-Institut. Dabei merkt man schnell, ob das Unterrichten der
eigenen Muttersprache etwas für einen ist. Das Studium und die
Weiterbildungen enthalten fast alle drei Komponenten: Zum einen geht
es um die Sprache an sich – etwa die grammatikalischen Grundlagen.
Dann geht es um das weite Themenfeld deutsche Literatur und Kultur.
Und schließlich ist die Methodik-Didaktik der Sprachvermittlung ein
Thema: Wie vermittelt man eine Sprache? Welche Lernprobleme treten
typischerweise auf?

Wer sich für DaF und DaZ als Berufsweg entscheidet, kann später nicht
nur im Inland für Schulen oder in der Erwachsenenbildung für
Volkshochschulen und private Sprachschulen arbeiten. Daneben gibt es
die Möglichkeit, im Ausland an Schulen, an Goethe-Instituten oder
auch an Universitäten wie der Deutsch-jordanischen Universität zu
unterrichten. Mitbringen sollten Jugendliche neben einem Interesse
für fremde Kulturen vor allem die Leidenschaft, mit Sprache zu
arbeiten.

Kathrin Ehrhardt macht die Arbeit mit den Kindern besonders Spaß,
wenn sie einen «Aha»-Moment haben – und sie plötzlich etwas
verstanden haben. Neulich war es wieder so weit, als ein Kind sagte:
«Es heißt der Mond.» Die Artikel sind für viele Kinder ein Problem.
Es gibt sie nicht in allen Sprachen. Gibt es sie, ist zum Beispiel
der Mond häufig weiblich, also «die Mond».

Ehrhardt arbeitet in ihrem Unterricht deshalb viel mit Bildern. Auf
das Bild vom Mond klebt sie einen blauen Punkt. Das steht für «der»,
ein roter Punkt für den Artikel «die» und ein grüner Punkt für den
Artikel «das». Die ersten Wochen haben die Kinder meistens
Schwierigkeiten, überhaupt das richtige Wort für das Bild vom Mond zu
finden. «Aber irgendwann macht es Klick, und sie stellen den
Zusammenhang zwischen dem blauen Punkt und dem Artikel her.» Für
Ehrhardt jedes Mal ein schöner Augenblick.

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