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Zeugnis-Zeit für deutsche Schüler – Spannung vor PISA-Präsentation Von Werner Herpell, dpa

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Zeugnis-Zeit: Einer regionalen IQB-Studie zu den Neuntklässlern Ende
Oktober folgen bald TIMSS-Ergebnisse von Grundschülern. Kurz darauf
dann das Test-Highlight PISA: Bekommt Deutschland wieder schlechte
Noten für seinen Umgang mit «Problemschülern»?

Berlin (dpa) – Die Spannung steigt. Am 6. Dezember veröffentlicht die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) mit «PISA 2015» ihre sechste weltweite Bildungsstudie. Rund
zehntausend 15-Jährige in Deutschland und gut eine halbe Million
weltweit ließen sich dafür auf den Zahn fühlen. Schon am 29. November
werden TIMSS-Zeugnisse zum mathematisch-naturwissenschaftlichen
Leistungsstand von Grundschülern präsentiert. Ein Ausblick auf die
heißen Bildungstest-Wochen in kalten Spätherbst.

Wie ist die Ausgangslage vor der sechsten PISA-Auflage seit 2000?

Nach dem «PISA-Schock» vor 15 Jahren und manchen Bildungsreformen
wurde die Kompetenz deutscher Schüler 2003, 2006, 2009 und 2012
stetig besser, ohne dass es zu Spitzenrängen reichte. So steigerte
sich Deutschland in Mathematik von 490 auf 514 Punkte, näherte sich
dem europäischen PISA-Vorbild Finnland (519) an, war von asiatischen
Ländern wie Japan (536) aber noch weit entfernt. In Lesekompetenz
stieg die Formkurve von 484 auf 508 Punkte (Finnland 524, Japan 538),
in Naturwissenschaften ging es von 487 auf 524 Punkte hoch (Finnland
545, Japan 547). Darauf gilt es aufzubauen. «Es gibt keinen Grund,
warum Deutschland sich nicht an den leistungsstärksten europäischen
Bildungssystemen orientieren sollte», sagte PISA-Chefkoordinator
Andreas Schleicher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Soll Deutschland mit asiatischen Musterschülern konkurrieren?

An der PISA-Spitze standen mit großem Vorsprung asiatische Länder
oder Regionen wie Shanghai, Singapur, Hongkong und Korea.
PISA-Experte Schleicher hebt hervor, dass dort im Gegensatz zu vielen
europäischen Ländern die besten Lehrer oft vor den schwierigsten
Schülern stehen – das zahle sich eben aus. Die Präsidentin der
Kultusministerkonferenz, Claudia Bogedan (SPD), meint indes: «Selbst
wenn die OECD immer wieder auf deutlich bessere Ergebnisse in Asien
hinweist: Der Vergleich mit autoritär regierten Ländern kann für uns
nicht sinnvoll sein, die dortigen Bildungssysteme sind für
Deutschland insofern auch kein Maßstab.»

Wie steht es um den oft kritisierten Zusammenhang zwischen sozialer
Herkunft und Bildungsgerechtigkeit in Deutschland?

Dies war beim PISA-Desaster 2000/2001 der peinlichste Befund: Kinder
aus sozial schlechter gestellten Familien schnitten viel schwächer ab
als bessergestellte Mitschüler. Das Phänomen wurde bis zum PISA-Test
2012 registriert, obgleich weniger dramatisch. Aber auch andere
Studien gaben nicht wirklich Entwarnung. Immerhin: Deutschland lag
2012 in allen PISA-Disziplinen über dem OECD-Schnitt – zugleich
schnitten «bildungsferne» Schüler etwas besser ab. Kein Grund zum
Zurücklehnen, mahnt Schleicher. «Wie wir mit den Schülern mit den
schlechtesten Ausgangsbedingungen umgehen – das sagt etwas über uns
selbst aus.»

Was ist von PISA 6.0 zu erwarten?

Ein fundiertes Bild von den Schulsystemen weltweit. Der im Mai 2015
organisierte Test in 72 Ländern und Großregionen ist so
aussagekräftig wie nie zuvor. Zusätzlich wurden Kompetenzfelder wie
Problemlösen im Team und das Wohlbefinden der Schüler auf den
Prüfstand gestellt – wohl auch um Kritik vorzubeugen, die OECD
orientiere sich allzu sehr am «Nutzwert» von Schule für den
Arbeitsmarkt. «PISA-Papst» Schleicher warnte Deutschland vorab vor
einer Stagnation im Bildungswesen. Die Reformdynamik der Nuller-Jahre
habe «das Land wirklich nach vorn gebracht. Man muss aber leider
sagen, dass der Schwung in den vergangenen Jahren wieder abgeflaut
ist – und das ist langfristig sehr schade.»

Welche Informationen fließen ein bei «PISA 2015»?

Jeder Schüler musste – erstmals auf einer digitalen Plattform der
OECD – zwei Stunden lang über den PISA-Fragen brüten. Rund 530
Aufgaben standen in einem Pool zur Verfügung. Gefragt war weniger
Fachwissen als Problemlösungskompetenz, betonte Schleicher am
Donnerstag. Neben den Testergebnissen der über 500 000 Schüler, die
repräsentativ für rund 28 Millionen Mädchen und Jungen aller 72
Teilnehmerländer ausgewählt wurden, erfasst die Studie viele weitere
Daten und Fakten zu den Bildungssystemen. So flossen Befragungen von
89 000 Eltern von «PISA-Schülern», 93 000 Lehrern und 17 500
Schulleitern ins Gesamtbild ein.

Könnte der deutsche PISA-Aufwärtstrend bald wegen der schwierigen
Bildungsintegration Hunderttausender Flüchtlinge zu Ende gehen?

So hatte sich zuletzt Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD)
geäußert und ein Abrutschen Deutschlands im PISA-Ranking nach 2016
prognostiziert. Schleicher empfiehlt Gelassenheit: «Dass sich der
Flüchtlings-Effekt auf die PISA-Resultate auswirkt, ist statistisch
gar nicht möglich.» Der Anteil von Geflüchteten sei immer noch «viel
zu klein, um für ein Land wie Deutschland signifikante Veränderungen
im Gesamtergebnis zu bewirken», sagte er der dpa und fügte hinzu:
«Was mir auch nicht passt bei solchen Befürchtungen, ist die Annahme:
Alle Flüchtlinge können nichts.»

Kurz vor PISA kommen die TIMSS-Zahlen. Worum geht es dabei?

TIMSS (Abkürzung für «Trends in International Mathematics and Science
Study») erfasst alle vier Jahre das Grundverständnis von Schülern in
Mathematik und Naturwissenschaften. In Deutschland wurden unter der
Leitung des Bildungsforschers Prof. Wilfried Bos von der Technischen
Universität Dortmund etwa 4000 Kindern der vierten Jahrgangsstufe
getestet. 2007 und 2011 rangierten deutsche Grundschüler bei TIMSS im
vorderen Drittel. Aber: Nur wenige Kinder erreichten die oberste
Kompetenzstufe, und die Zahl der «Risikoschüler» war mit etwa einem
Fünftel hoch.

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