Bildung und soziale Gerechtigkeit sind Topthemen im Wahlkampf. Beim
Bafög kommt beides zusammen. Nach einer neuen Datenanalyse reicht die
staatliche Förderung für Hunderttausende Studenten hinten und vorne
nicht – kein Ruhmesblatt für die schwarz-rote Regierung.
Berlin (dpa) – Studenten-Bafög als Wahlkampfthema? Eine neue Studie
mit umfangreichem Datenmaterial hat jedenfalls das Zeug zum Aufreger,
weil sie die Debatte über (Bildungs-)Gerechtigkeit in Deutschland
anheizt. Demnach sind die vom Bund festgelegten Bafög-Bedarfssätze
für Studierende trotz des Zuschlags vom vorigen Jahr noch viel zu
niedrig. Während sich Opposition und Gewerkschaften in ihrer Kritik
an der Regierung bestätigt fühlen, hüllt diese sich in Schweigen.
Auch die aufgestockte Bafög-Stütze decke die wirklichen Kosten nur in
begrenztem Umfang und werde den unterschiedlichen Lebensverhältnissen
der Studierenden nicht mehr gerecht, sagt der Präsident des Deutschen
Studentenwerks (DSW), Dieter Timmermann. Er verlangt eine baldige und
dann regelmäßige Anhebung. «Die Politik muss handeln», sagt er. Sonst
liefen viele Studenten in eine Armutsfalle.
Das Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie
(FiBS) ermittelt in seiner Studie eine «Unterdeckung» schon beim
monatlichen Bafög-Grundbedarf. Zudem reichten die Wohnpauschalen kaum
für die tatsächlichen Mietkosten aus. Eine Förderlücke sieht das FiBS
auch bei den Zuschlägen für Kranken- und Pflegeversicherung, vor
allem für über 30-jährige Studierende.
Zum Wintersemester 2016 hatte die Bundesregierung von CDU/CSU und SPD
nach sechsjähriger Stagnation die Bedarfssätze um mindestens sieben
Prozent erhöht. Die Höchstförderung für Studierende mit Wohnung stieg
von monatlich 670 auf 735 Euro. Das DSW beziffert die studentischen
Lebenshaltungskosten nun aber im Schnitt mit rund 1000 Euro – für
Lernmittel, Ernährung, Gesundheit, Fahrtkosten, Miete und Mobiliar,
Kleidung und Körperpflege, Freizeit und Kommunikation.
Laut Statistischem Bundesamt wurden 2015 etwa 611 000 Studierende
unterstützt, der Durchschnitts-Förderbetrag lag bei 448 Euro. Vier
von fünf der mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög)
unterstützten Studierenden sagen nach DSW-Angaben, ohne dieses Geld
bliebe ihnen die Hochschule versperrt. Timmermann ist auch skeptisch,
ob jetzt – wie von der schwarz-roten Regierung geplant – mehr junge
Menschen gefördert werden. «Es deutet sich nicht an, dass die Zahl
der Bafög-Empfänger wie erwartet um gut 100 000 steigt.»
Nach den Worten von DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde
verzichten offenkundig viele junge Menschen auf ihren Bafög-Anspruch
– oft aus Angst vor hoher Verschuldung. Denen könne er «zur
Verbesserung ihrer finanziellen Situation nur dringend empfehlen,
Bafög-Anträge zu stellen – zumal erst fünf Jahre nach Förderende
maximal nur 10 000 Euro in kleinen Raten zurückzuzahlen sind».
FiBS-Direktor Dieter Dohmen geht davon aus, dass etwa vier von zehn
Studierenden kein Bafög beantragen, obwohl es sich lohnen könnte.
Als stärkste Kostentreiber erweisen sich laut Studie Ausgaben für
Miete und Gesundheit. Insbesondere im unteren Einkommensbereich zeige
sich, «dass weder das Bafög noch die Eltern alleine in der Lage sind,
eine ausreichende finanzielle Grundlage zur Finanzierung des Studiums
zu ermöglichen. Erst wenn beide Quellen miteinander kombiniert oder
durch Erwerbstätigkeit ergänzt werden, kommen die Studierenden auf
ein einigermaßen akzeptables Niveau.» Viele hätten sich folglich «mit
Jobben eingerichtet» – was dann oft die Studiendauer verlängert.
Meyer auf der Heyde warnt vor «verdeckter Armut» bei Studenten. Da
die Mietpauschalen nur fürs Wohnheim reichten, sparten viele wohl am
Essen. FiBS-Experte Dohmen untermauert das: «Bemerkenswert bis
erschreckend ist die Bandbreite bei den Ausgaben für Ernährung.
Hierfür werden zum Teil Beträge ausgegeben, die eine gesunde und
ausgewogene Ernährung unwahrscheinlich erscheinen lassen.»
DSW-Präsident Timmermann zielt mit dem Gerechtigkeitsthema Bafög nun
auch auf den Bundestagswahlkampf. «Bildung spielt da eine größere
Rolle als früher – die Chance müssen wir nutzen und Druck machen.»
Die seit 2015 allein für die Förderung zuständige Bundesregierung
will ihren 21. Bafög-Bericht allerdings – mit reichlich Verspätung –
erst in einigen Wochen präsentieren. Kritiker mutmaßen bereits:
Vielleicht auch erst nach der Wahl?
Dem Grünen-Experten Kai Gehring reicht für sein Urteil freilich schon
die FiBS-Studie – denn die «sollte nun auch die letzten
Realitätsverweigerer in der Regierung überzeugen, dem schleichenden
Attraktivitätsverlusts des Bafögs einen Riegel vorzuschieben». Seine
Linke-Kollegin Nicole Gohlke beklagt: «Deutschland ist eines der
reichsten Länder der Welt, aber viele Studierende müssen hier in
Armut leben. Die Bundesregierung versagt vollständig bei der sozialen
Förderung der Jugend.» Der Wahlkampf ums Bafög ist also eröffnet.
Ein «Alternativer Bafög-Bericht» der Gewerkschaften hatte schon im
Februar scharfe Kritik an Schwarz-Rot formuliert. Demnach kann die
jetzige Förderung «Benachteiligungen von Schülern und Studierenden
aus finanzschwachen Elternhäusern nicht hinreichend ausgleichen» –
zumal die Bafög-Quote bei Studierenden zuletzt auch noch von 19 auf
15 Prozent gesunken sei. DGB-Vize Elke Hannack setzt nun nach: Es sei
«höchste Zeit, das Gesetz um einen automatischen Inflationsausgleich
zu ergänzen, damit Bedarfssätze und Freibeträge regelmäßig steigen».