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Verdeckte Armut

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Bildung und soziale Gerechtigkeit sind Topthemen im Wahlkampf. Beim
Bafög für Studenten kommt beides zusammen. Nach einer neuen Studie
reicht die staatliche Förderung hinten und vorne nicht – kein schöner
Befund für die schwarz-rote Regierung.

Berlin (dpa) – Studenten-Bafög als Wahlkampfthema? Eine neue Studie
mit umfangreichem Datenmaterial hat jedenfalls das Zeug zum Aufreger,
weil sie zur Debatte über (Bildungs-)Gerechtigkeit in Deutschland
passt. Demnach sind die vom Bund festgelegten Bafög-Bedarfssätze für
Studierende trotz des Zuschlags vom vorigen Jahr noch immer viel zu
niedrig.

Die Förderung decke die wirklichen Kosten nur in begrenztem Umfang
und werde den sehr unterschiedlichen Lebensverhältnissen der
Studierenden nicht mehr gerecht, sagt der Präsident des Deutschen
Studentenwerks (DSW), Dieter Timmermann. Er verlangt deshalb eine
regelmäßige Anhebung. «Die Politik muss handeln», sagt er. Sonst
liefen viele Studenten in eine Armutsfalle.

Zum Wintersemester 2016/17 hatte die Regierung von Union und SPD nach
sechsjähriger Stagnation die Bedarfssätze um mindestens sieben
Prozent erhöht. Die Höchstförderung für Studierende mit eigener
Wohnung kletterte von 670 auf 735 Euro. Das DSW beziffert die
studentischen Lebenshaltungskosten nun aber im Schnitt mit rund 1000
Euro pro Monat – für Lernmittel, Gesundheit, Miete und
Wohnungseinrichtung, Ernährung, Fahrtkosten, Kleidung, Freizeit und
Kommunikation.

Laut Statistischem Bundesamt wurden 2015 etwa 611 000 Studierende
unterstützt, der Durchschnitts-Förderbetrag lag bei 448 Euro. Vier
von fünf der mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög)
unterstützten Studierenden sagen nach DSW-Angaben, ohne dieses Geld
bliebe ihnen die Hochschule versperrt. Timmermann ist auch skeptisch,
ob jetzt – wie von der Regierung geplant – mehr junge Menschen
gefördert werden. «Es deutet sich nicht an, dass die Zahl der
Bafög-Empfänger wie erwartet um gut 100 000 steigt.»

Das Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie
(FiBS) ermittelt in seiner Studie eine «Unterdeckung» schon beim
monatlichen Bafög-Grundbedarf. Zudem reichten die Wohnpauschalen kaum
für die tatsächlichen Mietkosten aus. Eine Förderlücke sieht das FiBS
auch bei den Zuschlägen für Kranken- und Pflegeversicherung, vor
allem für über 30-jährige Studierende.

Nach Worten von DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde
verzichten offenkundig sogar viele junge Menschen auf ihren
Bafög-Anspruch. Er könne diesen Studierenden «zur Verbesserung ihrer
finanziellen Situation nur dringend empfehlen, Bafög-Anträge zu
stellen, zumal erst fünf Jahre nach Förderende maximal nur 10 000
Euro in kleinen Raten zurückzuzahlen sind». FiBS-Direktor Dieter
Dohmen geht davon aus, dass etwa vier von zehn Studierenden kein
Bafög beantragen, obwohl sich der zeitlich überschaubare Aufwand für
sie lohnen könnte.

Als stärkste Kostentreiber erweisen sich laut Studie Ausgaben für
Miete und Gesundheit. Insbesondere im unteren Einkommensbereich zeige
sich, «dass weder das Bafög noch die Eltern alleine in der Lage sind,
eine ausreichende finanzielle Grundlage zur Finanzierung des Studiums
zu ermöglichen. Erst wenn beide Quellen miteinander kombiniert oder
durch Erwerbstätigkeit ergänzt werden, kommen die Studierenden auf
ein einigermaßen akzeptables Niveau.» Viele hätten sich folglich «mit
Jobben eingerichtet».

DSW-Generalsekretär Meyer auf der Heyde warnt vor «verdeckter Armut»
bei Studenten. Da die Mietpauschalen nur fürs Wohnheim reichten,
müssten viele wohl am Essen sparen. Auch Bildungsökonom Dohmen hat
festgestellt: «Bemerkenswert bis erschreckend ist die Bandbreite bei
den Ausgaben für Ernährung. Hierfür werden zum Teil Beträge
ausgegeben, die eine gesunde und ausgewogene Ernährung
unwahrscheinlich erscheinen lassen.»

DSW-Präsident Timmermann zielt mit dem Gerechtigkeitsthema Bafög nun
auch auf den Bundestagswahlkampf. «Bildung spielt da eine größere
Rolle als früher – die Chance müssen wir nutzen und Druck machen.»
Die seit 2015 allein für die Förderung zuständige Bundesregierung
will ihren 21. Bafög-Bericht allerdings – mit reichlich Verspätung –
erst in einigen Wochen präsentieren. Kritiker mutmaßen bereits:
Vielleicht auch erst nach der Wahl?

Ein «Alternativer Bafög-Bericht» von DGB und Einzelgewerkschaften
enthielt im Februar scharfe Kritik an der Bilanz von Schwarz-Rot.
Demnach kann die jetzige Förderung «Benachteiligungen von Schülern
und Studierenden aus finanzschwachen Elternhäusern nicht hinreichend
ausgleichen». Zumal die Bafög-Quote bei Studierenden zuletzt auch
noch von 19 auf 15 Prozent gesunken sei.

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