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Syrien-Hilfe im siebten Kriegswinter: Angst als ständiger Begleiter

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Seit seinem ersten Besuch in einem Flüchtlingslager
für Syrer hört Christian Schneider, Geschäftsführer von
Unicef-Deutschland, die furchtbaren Augenzeugenberichte der
Überlebenden von Folter und Krieg. Trotzdem trifft ihn die Realität
bei seinem ersten Besuch in den ehemals von Rebellen kontrollierten
Gebieten der Großstädte Homs und Aleppo mit voller Wucht.

«Kilometerlang nur Zerstörung. Ruinen, in denen traumatisierte
Menschen versuchen, sich notdürftig etwas herzurichten», sagt
Schneider. Gleichzeitig finde in den Stadtvierteln, die dauerhaft von
den Truppen von Präsident Baschar al-Assad und seinen Verbündeten
kontrolliert waren, «ein im Wesentlichen ziviles Leben statt, mit
Einkaufsszenen, wie in jeder normalen Großstadt, dieser Kontrast ist
bizarr, eigentlich kaum auszuhalten».

Schneiders erster Besuch bei den Projekten des UN-Kinderhilfswerks in
Aleppo liegt nun schon fast einen Monat zurück. Der Reisebericht, den
die Organisation auch nutzen will, um weitere Spender zu gewinnen,
ist fertig geschrieben. Doch die Erlebnisse gehen Schneider und
seiner Kollegin, die aus Köln mitgereist war, noch nicht aus dem
Kopf.

Der Geschäftsführer sagt, er habe schon viele Konfliktregionen
bereist, doch Syrien, das sei besonders schwer auszuhalten. Er
erzählt von einem Besuch in Dschibrien am östlichen Stadtrand von
Aleppo. Die Helfer hatten bunte Luftballons verteilt, um den Raum für
die Kinder etwas fröhlicher zu gestalten. Als ein Ballon plötzlich
platzt, zucken alle Kinder ängstlich zusammen. Auch die Jungen, die
zwar noch nicht lesen, dafür aber schon verschiedene Arten von
Granaten auseinanderhalten können. Ein Mädchen fängt an laut zu
weinen.

Es sind nicht nur die Entbehrungen, die furchtbaren Erinnerungen an
Luftangriffe und getötete Angehörige, die den Menschen zusetzen. Auch
die Angst vor der Rache des Regimes ist allgegenwärtig. Ein Regime,
das mit Hilfe Russlands und des Iran nicht nur die
Schreckensherrschaft islamistischer Terrormilizen beendet, sondern
auch Rebellen jedweder Couleur mit Fassbomben, Chemiewaffen-Einsatz
und Hunger-Blockaden in die Knie gezwungen hat.

Schneider sagt, in Ost-Aleppo herrsche «eine beklemmende Atmosphäre».
Er habe bei seinem Besuch das Gefühl gehabt, «dass die Leute sehr
verängstigt sind». Über Politik habe niemand gesprochen. Sie, die
Ausländer, seien allerdings mehrfach von Großmüttern angesprochen
worden. Die Frauen hätten sie angefleht, bei den Behörden
nachzufragen, was aus ihren zum Teil schon vor
Jahren «verschwundenen» Söhnen geworden sei.

Dass in Deutschland jetzt darüber diskutiert wird, ob man syrische
Flüchtlinge nicht vielleicht schon bald in ihre Heimat zurückschicken
könne, findet Schneider nicht nachvollziehbar. Er sagt,
Granatenangriffe seien auch in den sogenannten befriedeten Gebieten
immer noch an der Tagesordnung. Die Gefahr, dass Kinder durch
Blindgänger und Minen getötet oder verletzt würden, sei hoch.
Millionen von Vertriebenen in Syrien seien auf humanitäre Hilfe
angewiesen. Er erzählt von einer Frau aus Aleppo, die für jeden ihrer
Enkel nur eine Garnitur Kleidung hat, und deshalb fragte, was sie
ihnen denn anziehen solle, wenn sie die Kleider wäscht.

Ein Indiz dafür, dass die Rückkehr für die meisten Flüchtlinge noch
keine Option ist, lässt sich nach Angaben von Unicef auch daran
ablesen, dass bisher nur sehr wenige Syrer aus den Nachbarländern in
ihre angestammten Wohngebiete zurückgekehrt sind. Selbst aus dem
Libanon, wo ein Großteil der Syrer unter erbärmlichen Umständen in
selbstgezimmerten Hütten unter Plastikplanen lebt, ohne
Schulunterricht und Zukunftsperspektiven, gibt es noch keine große
Rückkehrbewegung.

«Für viele Menschen ist gerade die Tatsache, dass Gebiete jetzt
wieder von den Regierungstruppen kontrolliert werden, ein Grund, der
ihre Rückkehr verhindert», erklärt Rechtsanwalt Patrick Kroker vom
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Das
ECCHR unterstützt eine Strafanzeige von Syrern, die in Gefängnissen
gefoltert worden waren und jetzt vom Generalbundesanwalt als Zeugen
vernommen werden. Kroker sagt: «In allen Gebieten, in denen die
Regierung präsent ist, drohen systematische Folter, Inhaftierung und
die Tötung von Menschen, die als Oppositionelle wahrgenommen werden.
Es reicht teilweise auch schon aus, das Land verlassen zu haben oder
sich dem Wehrdienst entzogen zu haben.

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