Vor drei Monaten hat die Frauenrechtlerin Seyran Ates in Berlin eine
liberale Moschee eröffnet. Muslimische Schüler aus Neukölln finden
das merkwürdig. Eine schwierige Annäherung.
Berlin (dpa) – Misstrauisch und ein wenig missmutig versammeln
sich die Zwölftklässler im Nieselregen vor der St. Johannis Kirche
im Berliner Bezirk Tiergarten. Ihr Politiklehrer hat diese
Exkursion organisiert. Die Schüler sollen sich die liberale Moschee
anschauen, die Seyran Ates drei Monate zuvor in einem Anbau der
Kirche eröffnet hat. In der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee gibt es
keinen Kopftuchzwang und keine Geschlechtertrennung, Homosexuelle
sind willkommen. Fast alle der Schüler sind Muslime. Drei von acht
Mädchen tragen Kopftuch. An ihrer Schule, der Otto-Hahn-Schule im
Bezirk Neukölln, haben 93 Prozent der Kinder und Jugendlichen
eine «nicht-deutsche Herkunftssprache».
Oben im Gebetsraum stellen sich Ates und knapp ein Dutzend weiterer
Muslime unterschiedlicher Herkunft zum Gebet auf. Am Eingang stehen
Personenschützer. Die Juristin Ates stammt aus der Türkei. Sie hat
Morddrohungen erhalten, weil sie an islamischen Traditionen und Tabus
rüttelt. Muhammet Uzunoglu aus Hürth hält diesmal die Predigt.
Er spricht über den Unterschied zwischen «Religion»
und «Religionsausübung», Glaubensinhalten und religiösen Praktiken.
Seine Einladung, mit zu beten, nimmt keiner der Schüler an. Sie
bleiben mit ihren Lehrern im hinteren Teil des Gebetsraumes und
schauen zu. Zwei Mädchen tuscheln während der Predigt.
Auch Constantin Schreiber ist heute da. Der ARD-Fernsehjournalist hat
vor einigen Monaten mit seinem Buch «Inside Islam» über die Predigten
in deutschen Moscheen viel Staub aufgewirbelt. Er hat diesen Besuch
zusammen mit dem Politiklehrer André Kowalske organisiert. «Unsere
Idee war es, auch einmal andere Perspektiven aufzuzeigen. Denn ich
glaube, Toleranz kann man lernen», sagt Schreiber.
Die arabischen Verse, die Uzunoglu spricht, sind den meisten der
Schüler vertraut. Dass sich Frauen hier neben Männern zu Boden
beugen, finden sie merkwürdig. Später wird ein Schüler mit Brille,
der älter aussieht als die anderen, sagen, das sei
falsch. Schließlich könne der Anblick des Hinterteils einer Frau die
Männer vom Gebet ablenken.
Ates wirft den deutschen Islam-Verbänden vor, an der Verbreitung
eines konservativen Islamverständnisses mitzuwirken, das dem Ziel der
Integration zuwiderläuft. Sie freut sich, wenn muslimische Schüler
ihre Moschee besuchen und geht auch kontroversen Debatten nicht aus
dem Weg.
Nach dem Gebet setzt sie sich zu den Besuchern auf den Boden. «Warum
haben sie ohne Kopftuch gebetet?», wird sie von einer Schülerin
gefragt. Ates antwortet, dass die Verse der Heiligen Schrift, in
denen es um die Verhüllung der Frau geht, keineswegs eindeutig
formuliert seien. Die Schülerin ist nicht überzeugt. Selbst kann sie
die entsprechenden Zeilen aus dem Koran allerdings nicht
rezitieren. «Was ist für sie Allah?», will ein Junge wissen.
Der Politiklehrer ist zufrieden, dass niemand ausfallend
wird. Schließlich waren einige Schüler von seinem Plan, ausgerechnet
diese Moschee zu besuchen, nicht begeistert. Doch etwas missfällt
Kowalske an den Fragen seiner Schüler. Er sagt: «Meine Wahrnehmung
ist, dass hier ein Test stattfindet, ob das wahre Muslime sind.»
Ates bleibt geduldig. Sie sagt: «Alle sind richtig, alle sind falsch
– am Ende entscheidet Allah und nicht wir.» Und dass sie ihr ganzes
Leben für Frieden gekämpft habe. Das Misstrauen der Schüler zeigt
erste Risse. Ates fragt einen Schüler, der seine Fragen in besonders
forderndem Ton formuliert, warum er denn so aggressiv sei. Der Junge,
der aus Palästina stammt, antwortet ihr: «Ich bin nicht aggressiv –
meine Art ist so.»