Star-Produzent Tony Visconti ist zu Besuch in Hamburg, um auf dem
Reeperbahnfestival neue Talente zu suchen. Im dpa-Interview spricht
er über das Musikbusiness von heute, seine Zeit mit David Bowie und
das West-Berlin der 70er Jahre.
Hamburg (dpa) – Tony Visconti macht einen sehr gelassenen Eindruck.
Die Produzenten-Legende ist seit 50 Jahren im Musikbusiness aktiv,
arbeitete mit Stars wie Marc Bolan, Morrissey – und natürlich immer
wieder mit David Bowie. Zur Zeit ist er auf dem Hamburger
Reeperbahnfestival unterwegs, wo er in der Jury der ersten
«Anchor»-Awards sitzt. Zeit für ein Gespräch über damals und heute.
Frage: Was war Ihre Motivation, in der Jury des «Anchors» zu sitzen?
Antwort: Das Reeperbahnfestival ist eine Investition in neue Talente,
die – meiner Meinung nach – nicht mehr so viele Möglichkeiten haben,
wie in der Vergangenheit. Labels beispielsweise verpflichten weniger
neue Talente. Ich möchte die zukünftigen Stars entdecken. Ob männlich
oder weiblich. Ob Rock oder Pop oder andere Genres. Ich hoffe, in der
Menge jemanden zu finden, mit dem ich gerne arbeiten würde.
Frage: Sie sagen, dass es schwieriger für neue Talente ist. Wie hat
sich das Musikbusiness in den letzten Jahrzehnten geändert?
Antwort: In den 1970er Jahren hat man nach einzigartigen Künstlern
geschaut, nach solchen, die anders sind. David Bowie war einer von
ihnen. Er war strange. Ein paar Jahre vorher wurde er noch abgelehnt.
Aber dann hat sich das Spiel etwas geändert. Jeder, der etwas seltsam
oder anders war, war nun gefragt – und zwar ganz verschiedene Leute.
Frage: Und heute?
Antwort: Heutzutage wollen Labels Stars, die nicht zu unterschiedlich
sind. Wenn eine Adele erfolgreich ist, wollen Sie eine andere Person,
die wie Adele ist, oder eben eine zweite Beyoncé. Sie wollen den
sicheren Weg gehen, um Geld zu machen. Sie versuchen zu erraten, was
das Publikum will, basierend auf den Hits von gestern. Aber damit
sind die Leute schon durch.
Frage: Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Bowie erinnern und
haben Sie sein Potenzial gleich erkannt?
Antwort: Absolut. Wir trafen uns 1967. Ich war von Amerika nach
England gekommen, um Neues zu entdecken. Sein Verleger, der mein Boss
war, sagte mir: «Wir haben da diesen Künstler, den solltest du dir
anhören. Es ist etwas ungewöhnlich.» (.) Er fragte mich, ob ich ihn
treffen wolle. Ich sagte: «Ja klar». Und er sagt: «Er sitzt im Zimmer
nebenan». Das war alles arrangiert. Da saß er und wartete auf mich
mit einem breiten Lächeln und das erste was ich wahrgenommen habe,
waren seine Augen mit den zwei unterschiedlichen Farben. (…) Wir
haben schlussendlich den ganzen Tag miteinander verbracht und über
Musik geredet. Wie waren wie Brüder, wir mochten dieselben Dinge.
Frage: Zehn Jahre später haben Sie in Deutschland an der berühmten
Berlin-Trilogie gearbeitet. Wie kam es dazu?
Antwort: Wir hatten in Paris an Low gearbeitet, aber wir wollten es
nicht dort mixen. David sagte: «Ich habe jetzt diese Wohnung in
Berlin». Und ich sagte: Das ist schön, ich war noch nie in Berlin.»
Und dann kam ich ins West-Berlin der 70er Jahre.
Frage: Etwas später kamen Sie nach Berlin zurück, um ebenfalls in den
Hansa-Studios «Heroes» aufzunehmen. Wie wild war diese Zeit?
Antwort: David kannte sich inzwischen richtig aus in Berlin und hatte
jede Menge Freunde. Wir arbeiteten im Studio und dann schleppte er
uns in irgendwelche Kunstgalerien, David liebte Kunst. Aber es war
nicht zu verrückt. Es gab keine Drogen, wir haben Bier getrunken.
(…) Wir hatten kein Geld, aber wir hatten eine fantastische Zeit.
Frage: Ist Geld auch ein Unterschied zur heutigen Musikindustrie?
Antwort: Die Labels verpflichteten in den 70er Jahren vielleicht 50
Künstler im Jahr und gaben ihnen ein bisschen Geld, nicht Millionen
von Dollar wie sie es heute machen. (…) Heutzutage fürchten sich
die Labels davor, das zu tun. Sie investieren viel Geld in gerade Mal
drei Leute. Wenn die Türen sich nur für drei öffnen, hast du Tausende
Leute, die keine Chance haben. Ein hochklassiges Beyoncé-Video für
nur einen Song kostet eine Millionen Dollar. Damals brauchten wir nur
einige Tausend Dollar um eine ganze Platte zu machen.
Frage: Was raten Sie den Künstlern heutzutage?
Antwort: Wir sind nicht von der großen Musikindustrie abhängig. Wenn
die Plattenfirmen einen nicht unterstützen, können Künstler ihr
eigenes Label gründen, eigene Vinyls pressen lassen und online
verkaufen und über die eigene Webseite und Facebook promoten. Du
musst nicht gezwungenermaßen über iTunes oder Spotify gehen. Das
Beste was ein Künstler heute machen kann, ist ein Live-Künstler zu
sein: Rausgehen, Konzerte spielen und Merchandising verkaufen.
Frage: Wie ist es eigentlich mit dem Nachlass von David Bowie, sind
da nicht Menschen, die Geld aus seinem Werk rausziehen wollen? Und es
soll ja noch fünf unfertige Demos geben?
Antwort: Ich sage Ihnen so viel: Seine Familie – seine Frau und sein
Sohn – haben die Hand darauf und sie sind gute Leute, sie wollen kein
Geld aus ihm machen. Es gibt unveröffentlichtes Material. Und für die
Fans, die es hören wollen, wird es vielleicht veröffentlicht. Aber
das braucht alles seine Zeit. Momentan weiß ich nicht, was die Pläne
sind. Ich habe die fünf Demos noch nicht gehört. Aber ich weiß, dass
sie existieren, weil er mir das erzählt hat.
ZUR PERSON: Produzent und Musiker Tony Visconti (72) arbeitete mit
großen Namen wie Marc Bolan, Morrissey und vor allem David Bowie. Mit
ihm produzierte er über fünf Jahrzehnte mehr als ein Dutzend Alben –
von «Space Oddity» (1969) bis zu «Blackstar» (2016), das kurz vor
Bowies Tod erschien. Visconti lebt in seiner Geburtsstadt New York.