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Nachwuchsmangel im Baugewerbe: Junge Leute wollen nicht mehr schuften

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Zu viele offene Stellen, zu wenig Interessenten: Die Bauwirtschaft
klagt seit Jahren über Personalnot und Nachwuchsmangel. Die Branche
boomt zwar – doch die jungen Erwachsenen bleiben fern.

Stuttgart/Berlin (dpa) – Mit seiner Ausbildung zum Beton- und
Stahlbetonbauer ist für Vincent Ahondoh ein kleiner Traum wahr
geworden. «Ich wollte wie mein Opa Bauarbeiter werden», erinnert sich
der 29 Jahre alte Flüchtling. Zum Studieren sei er zu alt,
stattdessen will er irgendwann seinen Meister machen. Ahondoh ist im
zweiten Lehrjahr bei der Bauunternehmung Wilhelm Keller im
baden-württembergischen Denkendorf.

Doch den Traum von Ahondoh träumen immer weniger junge Menschen. Die
Branche plagt ein gewaltiges Nachwuchsproblem. Zum Start des
vergangenen Ausbildungsjahres 2016/2017 blieben bei den Bau- und
Ausbauberufen mehr als 5200 Stellen unbesetzt, wie aus Daten der
Bundesagentur für Arbeit hervorgeht. Das waren drei Viertel mehr
unbesetzte Lehrstellen als noch im Ausbildungsjahr 2012/2013.

Ahondoh stört das erstmal nicht. Gemeinsam mit Azubi-Kollege Sven
Hofmann bereitet er gerade die Schalung einer Betonwand vor. Erst
wenn diese fest verschlossen ist, kann Beton eingegossen werden. Auf
der Baustelle im benachbarten Esslingen sollen 120 Mietwohnungen mit
Tiefgarage entstehen. «Ich will eine Ausbildung machen, bevor ich zum
nächsten Sommersemester das Studium zum Bauingenieur beginne», sagt
der 20-jährige Hofmann, der das Abitur in der Tasche hat.

Doch obwohl Azubis wie Hofmann und Ahondoh so sehr von ihrem Job
schwärmen, merkt auch das Unternehmen Wilhelm Keller
den Nachwuchsmangel. «Es fällt schwer, vernünftige und qualitativ
entsprechende Leute zu finden», sagt Geschäftsführer Joachim Bäuerle.
Der Grund: Viele der Bewerber schrecke das Image der Baubranche und
die harte Arbeit ab. «Es gibt zu wenig und es gibt zu wenig gute
Bewerbungen.» Ähnliches berichtet Dieter Diener, Hauptgeschäftsführer
der Bauwirtschaft Baden-Württemberg: «Heutzutage sind Bauarbeiten
nicht nur «Stein auf Stein», sondern sehr komplex.»

Auch die unsicheren Jobperspektiven wirken beängstigend auf die
Baumeister in spe. «Junge Menschen brauchen Planungssicherheit», weiß
Ruprecht Hammerschmidt, Pressesprecher der Interessengewerkschaft
Bauen, Agrar und Umwelt (IG BAU). Nach der Ausbildung wären
befristete Beschäftigungen üblich – das mache Familiengründungen
schwierig.

Entspannt sich die Lage nicht in den kommenden Jahren, sieht es mau
aus. Laut Deutscher Bauwirtschaft wird gut ein Viertel der deutschen
Baufacharbeiter in den nächsten zehn Jahren altersbedingt
ausscheiden. Angesichts der aktuellen Lage könnte aber nur die Hälfte
der freiwerdenden Stellen mit Nachwuchskräften neu besetzt werden.
«Da muss man ganz schön kämpfen», weiß Stiepelmann von der Deutschen
Bauindustrie.

Die Jobs müssten attraktiver werden, unter anderem durch
Lohnsteigerungen. «Die Branche steht in Konkurrenz mit
Industriearbeitsplätzen und dort verdienen Arbeiter in der Regel
besser», moniert Hammerschmidt von der IG BAU. Auch der Zuzug von
ausländischen Arbeitern sei keine Lösung auf Dauer. Zwar gab es diese
schon immer – eine dauerhafte Alternative zu hiesigen Fachkräften
dürften sie aber nicht sein. «Für die entsandten Arbeiter aus der EU
muss sichergestellt sein, dass jeder Arbeiter für die gleiche Arbeit
am gleichen Ort den gleichen Lohn erhält», sagt er.

Zwar gibt es zumindest in Baden-Württemberg Zeichen der Hoffnung: Im
abgelaufenen Ausbildungsjahr stieg im Vergleich zum Vorjahr die Zahl
der Lehrlinge in den überbetrieblichen Ausbildungszentren im Land um
4,8 Prozent auf mehr als 2800. In solchen Einrichtungen lernen die
Azubis alles, was die Betriebe ihnen selbst nicht beibringen können.
Doch die Branche warnt vor zu viel Euphorie: «Es gibt nach wie vor
noch viel zu viele offene Stellen.

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