Vier YouTuber und Angela Merkel: Im Bundeswahlkampf lässt sich die
Kanzlerin von jungen Internet-Stars befragen. Das ungewöhnliche
Aufeinandertreffen bietet für alle Beteiligten Chancen – aber auch
Risiken.
Berlin (dpa) – Wie kann die Politik die junge Generation erreichen?
Klar, über YouTube. Das hat das Team um Angela Merkel bereits vor
zwei Jahren erkannt. 2015 ließ sich die Bundeskanzlerin vom YouTuber
LeFloid interviewen. Bis heute wurde das Video rund 5,5 Millionen Mal
abgerufen. Doch die Nutzer der Internet-Videoplattform sind ganz
unterschiedlich. So werden im Bundestagswahlkampf an diesem Mittwoch
nun nicht einer, sondern gleich vier junge YouTube-Stars die
Kanzlerin befragen. Zwei Frauen, zwei Männer, zusammengezählt haben
ihre Kanäle um die drei Millionen Abonnenten. Darunter zahlreiche
sonst schwer zu erreichende junge Leute und potenzielle Erstwähler.
Aber wer sind die von einer Produktionsfirma ausgewählten
Interviewer? Da ist die 21-jährige Beauty- und Lifestyle-Queen
Ischtar Isik, deren Eltern aus dem Irak stammen und die in ihren
Clips gerne über Wimperntusche, Nagellack oder Ohrringe plaudert.
Hinter «ItsColeslaw» steckt wiederum die Psychologiestudentin Lisa
Sophie, ebenfalls Anfang 20. Bei ihr geht es auch mal um Probleme und
Tabuthemen, über die man sich sonst nicht zu reden traut.
«MrWissen2Go», der eigentlich Mirko Drotschmann heißt, ist eine Art
oberschlauer, aber cooler Nachhilfelehrer. Der 31-Jährige erklärt
historische Zusammenhänge und aktuelle Nachrichten, «verständlicher
als das, was Eure Lehrer Euch erzählen». «AlexiBexi», der 28-jährige
Hamburger Alexander Böhm, isst vor laufender Kamera Nutella, testet
neue Technik-Geräte oder synchronisiert englischsprachige Popsongs.
«Gerade wir als jüngere Generation sollten unser Wahlrecht nutzen»,
sagt «AlexiBexi» in einem Clip zum Merkel-Interview. Aber er könne
verstehen, dass das Thema Politik kein einfaches sei und dass viele
Fragen unbeantwortet blieben. Deshalb, so bekräftigen es alle vier,
wollten sie auch ihre Community beteiligen. Daher wurden die Follower
aufgerufen, in den sozialen Netzwerken (#DeineWahl) Fragen an die
Kanzlerin zu posten.
Was also bewegt die Generation YouTube? Die Fragen sind bunt gemischt
– und oft altersgemäß. Es geht um Umweltschutz und
Massentierhaltung, um Forderungen nach einem bedingungslosen
Grundeinkommen und nach einer Legalisierung von Cannabis oder um
Gerechtigkeitsfragen («Sehr geehrte Frau Merkel, wie kann es sein,
dass es in Deutschland eine so krasse Spaltung zwischen Arm und Reich
gibt?»). Einige treibt die Flüchtlingssituation um («Wie viele
Flüchtlinge sollten in den nächsten Jahren nach Deutschland
kommen?»). Und natürlich geht es immer wieder um das Bildungssystem
(«Warum werden die Schüler nicht fürs Leben vorbereitet?»)
Vorab hatten die vier YouTuber nach eigenen Angaben Bedingungen
gestellt: «dass das Ganze live stattfinden wird und dass die
Kanzlerin unsere Fragen nicht vorher bekommt», erklärt «ItsColeslow».
«Da kann man natürlich auch mal eine Frage stellen die ein bisschen
unbequem ist und die man hinterher nicht einfach rausschneiden kann»,
meint «MrWissen2Go».
Vorbereitet werde das Interview, das in vier Themenkomplexe
eingeteilt ist, gemeinsam mit dem zum TV-Konzern ProSiebenSat.1
gehörenden Multiplattform-Netzwerk Studio71. Das Netzwerk, das für
die Redaktion verantwortlich ist, hatte auch bei der Kanzlerin
angefragt und die YouTuber ausgewählt. Ob es eine ähnliche Aktion mit
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz geben wird, ist laut einem Sprecher
unklar.
Die Chancen für alle Beteiligten sind enorm. Für die vier YouTuber
bietet die Aktion einen Popularitätsschub sowie die einmalige
Gelegenheit, die Kanzlerin zu interviewen. Und für Merkel? «Das
Interview ist eine kluge Strategie», sagt der Kommunikationsforscher
Patrick Donges von der Universität Leipzig. «Die Kanzlerin erreicht
eine junge Zielgruppe, die sich nicht besonders für Politik
interessiert, die mit den traditionellen Wahlkampfmitteln schwer
erreichbar ist.» Zudem sei ein Interview eine andere
Kommunikationssituation als etwa eine Ansprache, da könne auch mal
etwas schief laufen. «Aber: «Die Kanzlerin ist Kommunikationsprofi
genug, dass sie da keine Fehler machen wird», meint Donges.
Also eine Win-Win-Situation für alle? Ganz so einfach ist es nicht.
LeFloid etwa musste nach seinem Merkel-Interview auch Kritik
einstecken. Zu seichte und zu freundliche Fragen, so lautete damals
der Vorwurf von Journalisten. Und die Kanzlerin kann nicht
automatisch davon ausgehen, dass die jungen Erstwähler bei der CDU
ein Kreuz machen werden. So lautete das Fazit von LeFloid nach seinem
Kanzlerin-Interview: «Hunderttausende haben dieses Interview gesehen,
Hunderttausende haben Antworten auf ihre Fragen bekommen, und
Hunderttausende werden auch nach diesem Interview garantiert nicht
CDU wählen – mich eingeschlossen.»