Daumen runter für Deutschlands Viertklässler: In Kerndisziplinen sind
ihre Leistungen im Schnitt schlechter geworden. Guter Rat ist teuer.
Berlin (dpa) – Susanne Eisenmann ist an diesem Freitag nicht zu
beneiden. Als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) muss sie
das Absacken der Leistungen der Grundschüler bewerten. Die Studie
IQB-Bildungstrends im Auftrag der KMK hat ergeben, dass die
Viertklässler in Mathematik, beim Zuhören und in Rechtschreibung
binnen fünf Jahren in Deutschland im Schnitt schlechter geworden
sind. Besonders deutlich gesunken sind die Leistungen aber in
Eisenmanns Heimat Baden-Württemberg.
«Die Ergebnisse sind ernüchternd», sagt sie. «Insgesamt ist der
Gesamtabfall für Baden-Württemberg…», fügt die dortige
CDU-Bildungsministerin etwas später hinzu und sucht erstmal nach
Worten, «…mehr als ernüchternd». Als dann auch noch jemand fragt,
welches Bundesland als Vorbild dienen könnte, raunt Eisenmann, ihres
wohl nicht. Der neben ihr sitzende Hamburger Bildungssenator Ties
Rabe (SPD) fasst Eisenmann tröstend an den Arm. Sein Stadtstadt
schneidet im Fünf-Jahres-Vergleich deutlich besser ab.
In vielen Tabellen zeigen die Bildungsforscher des Berliner Instituts
IQB auf, wo die Reise bei Deutschlands Grundschülern zuletzt hinging:
Deutschlandweit sank der Anteil der Kinder, die bestimmte
Regelstandards erreichen oder übertreffen, seit 2011 beim Zuhören und
bei der Rechtschreibung. Am stärksten ging er im Südwesten und
Sachsen-Anhalt zurück – um zehn Prozent. Der Anteil der Kinder, die
den niedrigeren Mindeststandard beim Zuhören nicht erreichen, ging
besonders in Bremen und Baden-Württemberg hoch – deutschlandweit um
rund drei Prozent. Nur Schleswig-Holstein verbesserte sich hier.
Bei Mathe sieht es nicht viel besser aus: Der Anteil derer, die den
Regelstandard schaffen, sank bundesweit um sechs Prozent – am
stärksten sank er in Baden-Württemberg, nämlich um zehn Prozent.
Kleinere Rückgänge gibt es auch in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt.
Mehr als jeder zehnte Viertklässler erreicht beim Lesen und beim
Zuhören bundesweit keine Mindeststandards, mehr als jeder fünfte in
Rechtschreibung, 15,4 Prozent in Mathe. Beim Ist-Zustand liegt der
Südwesten in etwa im Bundesschnitt, Ausreißer nach unten: Bremen und
Berlin. Deutlich besser als bundesweit: durchgängig Bayern.
Warum ist das Niveau gesunken? Die Studienautorin Petra Stanat beugt
vor. Ihre Ergebnisse könnten «nur bedingt Erklärungen liefern». Aber
der gestiegene Migrantenanteil fällt auf. Die höchsten Anteile gibt
es mit über 40 Prozent in Berlin, Bremen und Hamburg sowie in
Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Vor allem bei den
in Deutschland geborenen Kindern aus Migrantenfamilien stiegen die
Anteile. Sie gingen immer hier zur Schule. Stanat meint: «Vieles, was
wir da an Benachteiligung sehen, ist eine soziale Benachteiligung.»
Die Kinder, die als Flüchtlinge 2015 gekommen sind, sind noch gar
nicht in der Studie erfasst. Wird sich das bei einer nächsten
Erhebung nochmals negativ auf das Niveau der Viertklässler auswirken?
Das glaubt Stanat eher nicht. «Es sind zwar viele gekommen, aber wenn
man das herunterbricht auf eine Jahrgangsstufe gar nicht so viele.»
Die Minister und Experten weisen auf die für die Schulen steigenden
Anforderungen auch durch die Zuwandererkinder hin. Wenn man Lehrer
fragt, was sie jetzt am wichtigsten finden, sagen sie laut Stanat:
individuelle Förderung und Umgang mit Heterogenität.
Einige Länder brächten Kinder mit Zuwanderungsgeschichte eher zu
guten Leistungen als andere, meint der Deutschen Philologenverband.
Verbandschef Heinz-Peter Meidinger fordert eine ausgewogene
Verteilung in den Klassen – «insbesondere dann, wenn es sich um
Kinder handelt, bei denen zuhause kein Deutsch gesprochen wird».
Klar ist: Der wachsende Lehrermangel untergräbt alle
Therapieversuche, die mit besonderer Förderung zu tun haben. «Ohne
ausreichend Lehrer kann es keinen Bildungserfolg geben», sagt Rabe.
Da hört es sich eher zurückhaltend an, was die KMK dazu jetzt
beschlossen hat: Etwa Möglichkeiten länderübergreifender
Werbeaktionen für ein Lehramtsstudium sollen geprüft werden.
Ausbildungsplatzkapazitäten sollen erhöht, Zugangsschwellen für den
Lehrerberuf gesenkt werden. «Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends
erinnern an den PISA-Schock 2001», mahnt der Grünen-Bildungsexperte
Kai Gehring. Er fordert eine «neue Kooperationskultur zwischen Bund,
Ländern und Kommunen». Für Schlagzeilen sorgte allerdings zuletzt
eher eine Konkurrenz-Aktion des Berliner Senats, der am Frankfurter
Hauptbahnhof per Plakat um Lehrer für die Hauptstadt werben wollte.
An guten Ratschlägen mangelt es nicht, gemischt mit einer Portion
Ratlosigkeit auf den neuen IQB-Schreck. Katastrophal seien die
Ergebnisse aber nicht, meint Stanat. Und dass das Niveau beim Lesen
stabil ist, wertet KMK-Präsidentin Eisenmann angesichts veränderter
Schülerschaft als «positives Ergebnis». Viele wollen dann in der
KMK-Geschäftsstelle in Berlin-Mitte immer noch mehr wissen von der
Ministerin aus dem Ländle. Irgendwann ist der Fragebedarf erschöpft.
Eisenmann auch. «Jetzt reicht es dann auch mal», meint sie zuletzt.