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Fremd in der Uni-Stadt: Wenn Studenten sich nicht einleben

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Das erste Semester ist für viele Studienanfänger gerade vorbei. Und
längst nicht alle sind in der Uni-Stadt richtig angekommen. Zu groß
ist das Heimweh. Wie werden Studenten in der neuen Stadt endlich
heimisch? Und wann ist es Zeit, die Zelte abzubrechen?

Oldenburg/München (dpa/tmn) – Vom einen Ende der Republik ans andere
oder nur in die nächstgelegene Uni-Stadt ziehen: Studieren bedeutet
meist, ein ganz neues Leben fernab der Heimat zu beginnen. Endlich
machen, was man will, endlich alleine leben. Manch einer fühlt sich
aber auch genau so: allein. Bei den Eltern ausziehen, Freunde
zurücklassen, Hobbys aufgeben – das ist keine Kleinigkeit. Viele
sehnen sich nach ihrem Zuhause und haben auch nach dem ersten
Semester nicht das Gefühl, heimisch zu sein. Das ist nicht
ungewöhnlich – und man kann beim Einleben nachhelfen, sagen Experten.

«Wenn es sich nach einem Semester nicht so heimisch und vertraut
anfühlt wie vorher zu Hause, ist das erwartbar und nicht bedenklich»,
sagt der Diplom-Psychologe Wilfried Schumann vom Psychologischen
Beratungsservice von Universität und Studentenwerk Oldenburg.
Hinnehmen und verdrängen sollte man das Heimweh nicht, dann wird es
nur schlimmer. Gerade wenn Studenten die alten Freunde besonders
stark vermissen, versuchen sie am besten alles, um in der neuen Stadt
heimisch zu werden.

Dabei ist der erste Impuls meist ein anderer, weiß die
Diplom-Psychologin und Autorin Marion Sonnenmoser, die einen Ratgeber
zum Thema geschrieben hat: «Typisch ist die Meinung, dass in der
Fremde alles schlechter ist als zu Hause, sowie der Wunsch, so
schnell wie möglich wieder nach Hause zurückzukehren.»

Heimweh drückt sich auf verschiedene Weisen aus: «Zum Beispiel in
Kummer, Niedergeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Schlafproblemen und
depressiven Verstimmungen», erklärt Sonnenmoser. Manchmal zeige es
sich auch in Gereiztheit, Wut und Verbitterung.

Aber was tun? «Man muss der neuen Umgebung eine Chance geben», sagt
die ärztliche Psychotherapeutin Swantje Röck von der Psychosozialen
und Psychotherapeutischen Beratung des Studentenwerks München. Das
bedeutet vor allem: Kontakte knüpfen. Diese seien die Basis dafür,
sich zu Hause zu fühlen. Röck rät deshalb, nicht jedes Wochenende zu
den Eltern oder den alten Freunden zu fahren. Denn dann kann man sich
am neuen Ort nicht oder nur schlecht integrieren, und dieser sei nur
mit Lernen und Arbeiten verbunden. Besser sei es, Freunde von zu
Hause in die neue Stadt einzuladen. Dann könne man zusammen losziehen
und gemeinsam neue Leute kennenlernen.

Oder man engagiert sich in der Fachschaft, geht zu
Erstsemester-Veranstaltungen oder besucht einen Hochschulsport-Kurs,
rät Röck. «Auch über ein altes Hobby lässt sich ein Stück Heimat in
die neue Stadt bringen.» Wer im Wohnheim wohnt, kann dort neue
Kontakte knüpfen.

Auch in der Wohnsituation kann Heimweh begründet sein: Wenn die
eigenen vier Wände nicht passen, sollte man sich nicht scheuen, nach
einer neuen Bleibe zu suchen, sagt Schumann. Oft habe man schließlich
zu Studienbeginn nur eine Notlösung gefunden.

Nun hat nicht jeder Heimweh, der zu Hause sein Hobby aufgegeben hat
oder sich in seiner Wohnung nicht wohl fühlt. Ob man Heimweh bekommt
oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es trifft eher
Menschen, die sich zu Hause sehr wohl fühlen, wie Sonnenmoser
erklärt. «Auch Personen, die schlechte oder keine Erfahrungen mit dem
Verreisen gemacht haben, sind heimwehanfällig.»

Außerdem spiele der Charakter eine Rolle: «Menschen, die
abenteuerlustig, unabhängig, kontaktfreudig und offen sind und die
Abwechslung und Herausforderungen mögen, entwickeln weniger Heimweh
als sesshafte, schüchterne, anhängliche und beständige Personen»,
sagt Sonnenmoser. Mitunter steckt hinter Heimweh auch mehr als die
bloße Sehnsucht nach Zuhause. Das können zum Beispiel ungelöste
Konflikte mit der Familie sein, sagt Röck. Auch Überforderung,
Versagens- oder Verlustängste können hinter Heimweh stecken. Manchmal
könne es dann helfen, über die Semesterferien oder ein
Urlaubssemester nach Hause zurückzukehren, wenn es dort noch etwas zu
klären gibt.

Manchmal klappt es aber einfach nicht: Dann wird das Heimweh zu groß
und man muss die Segel streichen. Wann das der Fall ist, lässt sich
pauschal nicht sagen. Schumann ist der Ansicht, man solle nicht bei
den ersten Problemen aufgeben, aber sich auch nicht unnötig quälen,
wenn man merkt, dass es nicht das Richtige ist. Röck empfiehlt, sich
unbedingt Hilfe zu suchen, bevor man seine Zelte abbricht, zum
Beispiel bei Beratungsstellen an der Uni. «Es ist eine schwere
Situation, viele unterschätzen das.»

Wer sich entscheidet, wieder in die Heimat zurückzukehren, sollte
erhobenen Hauptes gehen. Zwar werde eine solche Rückkehr vom Umfeld
manchmal als Scheitern angesehen, sagt Schumann. Aber: «Es spricht
nichts dagegen, dass sich jemand dort am wohlsten fühlt, wo er
herkommt.» Außerdem zeuge es von Größe, sich eine falsche
Entscheidung einzugestehen und zu korrigieren.

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