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Flüchtlinge an Unis: «Staatlich verschuldete Unmündigkeit» Von Alexander Preker,

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Rasha Bamatraf muss auf Sylt leben – dabei würde sie zum Studium gern
nach Flensburg ziehen. Wie die Jemenitin leiden zahlreiche
Flüchtlinge unter hohen Hürden beim Gang an die Hochschule.

Flensburg (dpa) – Rasha Bamatraf spricht schnell. Sie hat nur wenige
Minuten, um das Scheitern ihres Herkunftsstaates zu skizzieren. Sie
steht in einem Seminar an der Universität Flensburg – und anders als
ihre Kommilitonen kann sie nicht in ihre Heimat zurück. Die
29-Jährige kam vor etwas mehr als einem Jahr als Flüchtling aus dem
Jemen nach Deutschland. Heute lebt sie auf Sylt und studiert in
Flensburg.

«Ich bin so glücklich, dass ich daran teilhaben kann», sagt Bamatraf
nach den ersten Wochen im Master-Studiengang European Studies. «Es
gibt ein Gefühl der gleichen Rechte.» Doch wie für die meisten
Flüchtlinge in Deutschland machte ihr der Weg an die Uni Sorgen.
Nicht vergleichbar zwar mit der Angst, die sie vor den Huthi-Rebellen
hatte, ehe sie den Jemen verließ. Nicht vergleichbar mit der Angst,
die sie als Unterstützerin des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi
hatte. Aber eben doch: Sorgen.

Es sind praktische Probleme des Ausländerrechts, die es Bamatraf
schwer machen. «Nicht in der Lage zu sein, nach Flensburg ziehen zu
können, ist ein Problem. Auf Sylt von BAföG zu leben auch», erzählt
sie. Gern würde sie ins rund 70 Kilometer Luftlinie entfernte
Flensburg umziehen, um täglich vier Stunden Zugfahrt und monatlich
Hunderte Euro für Fahrkarten sowie den teuren Wohnort zu sparen. Doch
an der Kreisverteilung hält der Staat bei ihr fest, andere Betroffene
kämpfen noch um Ausnahmen.

Unter diesen und ähnlichen Hürden haben bundesweit viele Flüchtlinge
zu leiden. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Hochschulen den
Aufenthaltsstatus bei der Immatrikulation nicht erfragen. Das
Bundeswissenschaftsministerium stellt mit dem Deutschen Akademischen
Austauschdienst (DAAD) über vier Jahre hinweg jedoch 100 Millionen
Euro für sprachliche und fachliche Vorbereitungskurse an Unis bereit.
Und die allein 2016 bis zu 4000 Teilnehmer dieser «Integra»-Kurse
streben ein Studium an oder haben es begonnen.

Wenn das Ausländerrecht dazwischen schießt, helfen die Kurse jedoch
wenig: «Wir bemerken zum Teil eine staatlich verschuldete
Unmündigkeit», beklagt Charlotte Fiala, Migrationsforscherin und
bisherige Koordinatorin des Flüchtlingsprogramms an der Uni
Flensburg. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst
Hippler, ergänzt: «Die rechtlichen Regelungen können bei praktischen
Fragen tatsächlich zusätzliche Probleme machen.»

Doch auch wenn die Geflüchteten die Sprachkurse gemeistert und ein
Studium aufgenommen haben gilt: Solange ihr Asylverfahren läuft,
haben sie keinen Anspruch auf BAföG. Die Bundesregierung weiß seit
Längerem um dieses Problem. Bereits am 21. Dezember 2015 schrieb die
Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern an
Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD): Es könne eine
Finanzierungslücke entstehen, «die studierwillige Flüchtlinge von der
Aufnahme eines Studiums abhalten könnte».

Die Unsicherheit, ob sie bleiben dürfen, kann aber auch die Uni den
Flüchtlingen nicht nehmen. Nach Ende der Asylverfahren haben
geflüchtete Studierende laut neuem Integrationsgesetz keinen Anspruch
auf eine Duldung – anders als Auszubildende. «Die Leute, die hier bei
uns erfolgreich ein Studium abschließen, sind ja auch Leistungsträger
der Gesellschaft», sagte Fiala. Die Uni möchte sie halten.

Die Innenministerien nehmen darauf keine Rücksicht: Eine
Länderumfrage des schleswig-holsteinischen Innenministeriums unter
allen Bundesländern hat ergeben, dass das Studium bundesweit nicht
als Duldungsgrund zählt. «Im Unterschied zu einer Berufsausbildung
mit einer festgelegten Ausbildungsdauer ist bei Aufnahme eines
Studiums der dafür benötigte Zeitaufwand nicht abschätzbar», teilte
das Bundesinnenministerium zur Begründung mit.

Solange Studenten wie Bamatraf noch weit mehr als eineinhalb Jahre
auf die Entscheidung ihres Asylantrages warten, so lange gibt es auch
Probleme. Fast jeder Teilnehmer sei ein Sonderfall, sagt Fiala mit
Blick auf das «Integra»-Programm in Flensburg.

Bamatraf lässt sich von Problemen nicht abhalten. Nach einem
Wirtschaftsstudium will sie mit Europawissenschaften später politisch
etwas bewirken. «Was ist mit den anderen? Mit Frauen, die immer noch
im Jemen sind, die immer noch unter der patriarchischen Gesellschaft
leiden?», fragt sie. «Sie brauchen Beispiele um zu sehen, dass es
okay ist, verschieden zu sein.»

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